Vor kurzem hat Karl Banghard hier in einem Blog den heroisch sterbenden Krieger Achilles vorgestellt, der gelegentlich wie in Helpup als Grabschmuck auf Bestattungen von gefallenen Leutnants des 1. Weltkrieges steht (https://blog.afm-oerlinghausen.de/achilles-in-helpup/). Bekanntlich kam Achill im trojanischen Krieg zu Tode, getroffen von einem Pfeil an seiner einzig verwundbaren Stelle, der heute noch so genannten Achillesferse.
Wäre es nach seiner Mutter, der Meeresnymphe Thetis gegangen, hätte Achilles dieses Heldenschicksal allerdings vermieden. Als eine erste Schutzmaßnahme versuchte sie, ihm körperliche Unversehrtheit zu verleihen. Dazu tauchte sie ihn kurz nach der Geburt in das Wasser des Unterweltflusses Styx, das seine Haut für Waffen undurchdringlich machte (Abb. 1).
Allerdings hielt sie ihn eben an jener Stelle am Knöchel fest, die dann nicht benetzt und somit zur berühmten Schwachstelle wurde. Ein Mosaik in Paphos, Zypern, illustriert diese Geschichte. Im abgebildeten Ausschnitt liegt die Mutter Thetis auf einer Liege, ein Teil des Bildes ist hier beschädigt. Vor der Liege steht ein Kessel mit angedeutetem Wasser. Von links wird das Kind herbeigebracht. Mit einer christlichen Taufe hat diese Szene übrigens nichts weiter gemeinsam, denn es findet hier keine Reinigung von Sünden statt.
Der Mythos um Achilles und den trojanischen Krieg ist in der Antike immer wieder neu erzählt und dabei auch weiterentwickelt worden. Da prophezeit worden war, dass Troja ohne Achill nicht erobert werden könne, dieser aber dort sein Leben verlieren würde, ergriff die besorgte Mutter eine weitere Vorsichtsmaßnahme. Sie versteckte ihn als Mädchen verkleidet unter den Töchtern des Königs Lykomedes auf der griechischen Insel Skyros. Nun waren die angreifenden Griechen, die diese Voraussage kannten, natürlich sehr daran interessiert, den kriegsentscheidenden Helden dennoch auf ihre Seite zu ziehen. Doch scheiterte dies zunächst. Niemand war in der Lage, den gut verkleideten und langhaarigen Achilles unter den Mädchen zu erkennen. Schließlich gelang die Entdeckung aber doch, mit Hilfe des für seine Listen bekannten Odysseus. Dieser ließ Geschenke für die Mädchen und Frauen herbeibringen, unter denen auch Waffen versteckt war. Dann blies ein Soldat in eine Kriegstrompete. Während seine erschreckten Begleiterinnen ihre Handarbeitsgeräte fallen ließen, bewaffnete Achill sich sofort und war so verraten. Diese Szene ist in der spätantiken Kunst mehrfach dargestellt worden (vgl. Blog. „Spinnrocken in Männerhand, Mosaik aus La Olmeda, Pedrosa de la Vega/Region Kastilien-Léon, Spanien #https://blog.afm-oerlinghausen.de/spinnrocken-in-maennerhand-mythos-und-geschichte-spinn-blog-teil-iii/). Hier möchte ich noch einige Beispiele dazu vorstellen. Auf einem großen Silberteller aus dem so genannten Sevso-Schatz (benannt nach einem inschriftlich benannten Besitzer) findet sich das Motiv an der wichtigsten Stelle in der Mitte (Abb. 2).
Achilles steht im Zentrum vor einer Architektur; er trägt das lange Kleid einer Frau, das sogar im Bereich der Brust gebauscht ist. Allerdings hat er schon einen ovalen Schild und einen Speer aufgenommen und sich so verraten. Links von ihm befinden sich drei Frauen, eine hält ihn noch vergeblich am Arm zurück. Damit ist wahrscheinlich die Königstochter Deidameia gemeint, die zu diesem Zeitpunkt bereits von Achilles geschwängert worden war. Rechts, neben dem stehenden Soldaten mit der Trompete, weist der zur Seite gehende Odysseus aus dem Bild hinaus. Die Geste dürfte sich auf die Zukunft beziehen, da Achilles den Griechen folgen und seine Geliebte und den Königshof auf Skyros verlassen wird. Unten auf dem Bild sind die Geräte für die Frauen zu sehen: links ein Kamm zur Behandlung der Wolle, daneben Spindel und Rocken, die mit einem Faden verbunden sind, dann ein Stiefel und rechts ein Wollkorb. Die Motive auf edlem Geschirr wie auf einem solchen Silberteller konnten bei Mahlzeiten in reichen römischen Haushalten eine Tischunterhaltung mit anregen. Die möglichen Themen sind dabei durchaus vielfältig: Der Heldenmut des jugendlichen Kämpen entspricht einem römischen Ideal, der virtus, der militärischen Tugend. Aber vielleicht gab es auch immer wieder Gäste, denen der Aufenthalt unter den jungen Mädchen Stoff zum Nachdenken und zum Gespräch bot. Eine etwas veränderte Darstellungsweise der Anekdote findet sich auf einem Glaspokal des 3. Jahrhunderts, der in einem Grab in Köln entdeckt wurde (Abb. 3).
Auch hier hat Achilles zu den Waffen gegriffen, am Arm trägt er wieder einen ovalen Schild. Allerdings ist seine blaue Gewandung nach hinten geweht, sein Geschlecht ist dadurch im wahrsten Sinne des Wortes schon enthüllt. Übrigens gehören auch hier die Geräte zur Textilverarbeitung zum erzählerischen Kontext dazu, zwischen den Füßen des Helden liegt beispielsweise ein umgestürzter Wollkorb mit zwei Garnknäueln.
Vielleicht ist es eine Ironie der mythologischen Geschichte, dass Odysseus selbst zwar den Achilles erst für den Krieg entdeckte, selbst hatte aber auch nicht teilnehmen wollen. Um seiner Verpflichtung zu entgehen, täuschte er vor, wahnsinnig zu sein. Dazu spannte er einen Ochsen und ein Pferd vor einen Pflug und säte Salz aus. Allerdings legte einer der griechischen Heerführer den kleinen Telemachos, den Sohn des Odysseus, vor den Pflug. Dieser hob die Pflugschar an, um das Kind zu schützen und war so entlarvt. Doch das nur am Rand.
Darstellungen der Entdeckung des Achilles sind in der Spätantike im römischen Reich weiträumig verbreitet. Ein weiteres Beispiel zeigt ein Mosaik, das in Kourion auf Zypern gefunden wurde. Im hier gewählten Ausschnitt (Abb. 4) ist Achilles auch wieder in einem langen Frauenkleid zu sehen.
Er ist nicht so weit entkleidet wie jener auf dem Glas in Köln, doch liegt die rechte Schulter frei, seine Maskierung wird also ebenfalls nicht aufrecht erhalten bleiben. Seine langen Haare sind rot, als Tarnname wurde er in seinem Versteck auch Pyrrha, also „die Rothaarige“ genannt. Auf dem Boden liegen auch hier wieder Geräte zur Textilverarbeitung, in diesem Fall eine mit Wolle bestückte so genannte Fingerkunkel, erkennbar an dem ringförmigen Ende sowie daneben eine Spindel, beides verbunden durch den gesponnenen Faden.
Das, modern gesprochen, Verlassen einer Genderrolle wie bei dem als Mädchen verkleideten Achilles ist in der Antike kein gesellschaftlich anerkanntes Ideal. Prominente Darstellungsformen wie auf prunkvollem Geschirr, das eine Tischunterhaltung anregen konnte, oder auf Mosaiken in reichen Haushalten mögen aber Hinweise darauf geben, dass es möglich war, sich auf derartige Aspekte einer Erzählung einzulassen. Auf diese Weise war die Mythologie in der Spätantike offenbar vielschichtig interpretierbar. Selbst Achill wird hier dann nicht gänzlich eindimensional als Krieger gezeigt.
Abbildungsnachweise:
Abb. 1) Detail eines Mosaiks aus dem so genannten Haus des Achilles, Paphos, Zypern.
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Paphos_Haus_des_Theseus_-_Mosaik_Achilles_2.jpg
Abb. 2) Mittelmedaillon der Achillesplatte aus dem Sevso-Schatz.
https://en.wikipedia.org/wiki/Seuso_Treasure#/media/File:Akhilleusz_t%C3%A1l_(3).jpg
Abb. 3) Der Kölner Achilles-Pokal.
Abb. 4) Detail eines Mosaiks im so genannten Haus des Achilles, Kourion, Zypern.
BildautorInnen:
1) Wolfgang Sauber; 2) Elekes, Andor; 3–4) Carole Raddato
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