Spinnrocken in Männerhand – Mythos und Geschichte
Wie alle bahnbrechenden Erfindungen wurde auch die Textilherstellung den Göttern zugeschrieben. Als Erfinderin des Spinnens und Webens galt traditionell die Göttin Pallas Athene, die bei den Römern Minerva genannt wird. So betont etwa der römische Autor Ovid in seinem Festkalender (Fasten 3,816-818, Übersetzung nach Bömer): „Wer sich Pallas (Athene) günstig stimmt, dem schenkt sie Geschicklichkeit. Wenn Pallas wohlgesinnt ist, mögen Mädchen lernen, wie man Wolle krempelt und den vollen Rocken abspinnt.“
Ovid beschreibt an anderer Stelle, dass die sittsamen Töchter des Heroen Minyas lieber zu Ehren der Minerva spinnen und weben wollten, als an Orgien zu Ehren des Bacchus teilzunehmen. Dabei erzählen sie sich Geschichten (Ovid, Metamorphosen 4,32-42). Ein nicht im Original überliefertes geschnitztes Palladion, also ein Bild der Pallas (Athene), soll nach einer Erzählung in der so genannten Bibliotheke des Apollodor (3,12,3) die Göttin mit Spindel und Rocken gezeigt haben. Der im dritten vorchristlichen Jahrhundert schreibende Grieche Theokrit (Gedichte 28) stellt die Spinnwerkzeuge im übertragenen Sinne als Geschenk der Athene dar und beschreibt solche Geräte aus Elfenbein auch als passendes Gastgeschenk für die Gattin eines Freundes.
Athene ist nicht die einzige spinnende und webende Göttin. Einen mythologischen Wettbewerb im Weben lässt der spätantike Autor Nonnos im 24. Gesang seiner Dionysiaka besingen, diesen bestreiten die Göttinnen Athena und Aphrodite. Münzen aus der Zeit der römischen Republik zeigen auf einer Seite Juno Sospina; in ihrer Eigenschaft als Beschützerin des Kleinviehs trägt die Göttermutter ein Ziegenfell mit Hörnern. Daneben befindet sich ein Spinnrocken mit einem Wollknäuel (Abb. 1). Auch die so genannte Syrische Göttin, die Dea Syria, besaß nach Lukian (Über die syrische Göttin 32) einen Spinnrocken. Die realitätsnahe Schilderung der spinnenden Parzen (Abb. 2), der Schicksalsgöttinnen bei Catull (Carmina 64,311-314), ist bereits vorgestellt worden (s. Spinn-Blog Teil I. http://afmblog.de.dedi523.your-server.de/kilometerarbeit-roemische-spinnkunst.html). Spätestens dann, wenn die Spindel voll ist, wird der Schicksalsfaden reißen, ein nicht umkehrbarer Vorgang (Seneca, Der rasende Herkules 559). Damit wird der Spinnvorgang zur Chiffre für die unaufhaltsam verrinnende Lebenszeit. Als Sprachbild war dies in einer Gesellschaft, die mit dieser Tätigkeit bestens vertraut war, sicher sehr plausibel.
Doch sogar einer männlichen Gottheit wurde die Erfindung der Textilarbeit zugetraut, wie der nach 220 gestorbene Kirchenschriftsteller Tertullian in seinem Werk De pallio (Über den Philosophenmantel 3, Übersetzung nach Kellner) überliefert: „Kurz, sie sind mit ihnen der Meinung (der Gott) Merkur habe, durch die Weichheit eines zufällig gestreichelten Widders erfreut, ein Schäflein kahlgeschoren, und indem er, wie die Zartheit des Stoffes es anzeigte, die Probe weiter machte, durch fortgesetztes Ziehen einen Faden hervorgebracht und ähnlich wie früher das Netz, das er aus Streifen von Lindenbast verfertigte, so jetzt ein Gewebe gemacht. Doch Ihr neigt Euch mehr dahin, alle Verwendung der Wolle und die Herstellung von Geweben der Minerva zuzuschreiben, obwohl Arachne eine Werkstätte hatte, wo es fleißiger zuging. Seit jener Zeit gibt es Kleiderstoffe.“ Arachne war eine Weberin der griechischen Mythologie, die Athene zu einem Webwettbewerb herausforderte und von dieser zur Strafe in eine Spinne verwandelt wurde.
Wir leiten nun über zu Helden und anderen Männern aus der Antike, die mit Spinngeräten beschäftigt sind. Begonnen sei mit einer Episode aus der Jugend des Achill.
In Mythen wie den „Fabeln“ des Hyginus (Fabulae 96) wird erzählt, dass dieser nach einer Prophezeiung sterben würde, sollte er am Trojanischen Krieg teilnehmen (so etwa auch die Bibliotheke des Apollodor 3,13,8). Daher brachte ihn seine Mutter, die Meeresgöttin Thetis auf die Insel Skyros und versteckte ihn, als Mädchen verkleidet unter dem Namen Pyrrha (= „die Rothaarige“), unter den Töchtern des dortigen Königs. Da aber die Griechen wussten, dass sie den Krieg nur mit Hilfe des Achilles würden gewinnen können, schickten sie eine Gesandtschaft zur Suche aus. Zunächst konnte diese Achill nicht finden. Der bekanntermaßen listige Odysseus veranlasste daraufhin, neben Geschenken für die Frauen auch Waffen herbeizubringen (vgl. Ovid, Metamorphosen 160-170). Dann ließ er eine Kriegstrompete blasen. Der jugendliche Held vermutete einen Angriff und griff daraufhin spontan zu den bereit liegenden Waffen, wodurch er sich verriet.
Das Mosaik in der Villa „La Olmeda“ (Pedrosa de la Vega/Region Kastilien-Léon) hält den Augenblick der Entdeckung des Achilles fest (Abb. 3). Am oberen Bildrand stößt ein in eine Rüstung gekleideter Soldat in die Kriegstrompete, von rechts sieht Odysseus zu. Achill, dessen Oberkörper im Bild teilweise zerstört ist, hat einen Schild und eine Lanze ergriffen. Die Frauenkleider gleiten von ihm herunter und werden im nächsten Augenblick sein wahres Geschlecht verraten. Drei der umgebenden Mädchen versuchen den Helden noch zurückzuhalten, doch vergeblich: Die Geschichte wird ihren Lauf nehmen und Achill wird in den Krieg ziehen, um später vor Troja durch den fatalen Pfeilschuss in die Ferse zu sterben. Dass die Szene in der Nähe eines Frauengemachs stattfindet, verraten die am unteren Bildrand liegenden Gegenstände, darunter umgestoßene Wollkörbe und – ganz unten rechts – ein Korb mit weiteren Spindeln. In der Geschichte macht Achilles eine doppelte Änderung der Geschlechterrollen durch. Bei seinem Erzieher, dem Zentauren Chiron, hatte er in seiner Kindheit Männerbeschäftigungen wie das Jagen und den Sport gelernt. Dass Thetis ausgerechnet ihn, den geborenen Helden, in eine Frauenrolle nötigt, drückt die tiefe Besorgnis der Mutter aus, der jedes Mittel recht ist, um ihren Sohn vor einem frühen Tod zu bewahren. Doch kann er diese Rolle auf Dauer nicht ausfüllen und lässt sie als Krieger wieder fallen.
In der noch ausführlicheren „Achilleis“ des Statius (580 ff.) ist sogar erwähnt, dass die Königstochter Deidamea dem Helden das Spinnen beibringt und ihm den Spinnrocken repariert, wenn er diesen mit seiner großen Kraft zerbrochen hat.
Eine weitere Figur aus der Mythologie, der Halbgott Herkules, musste als Strafe für seinen Jähzorn zeitweilig als Sklave bei der lydischen Königin Omphale dienen. Herkules macht in diesen Geschichten ebenfalls einen Rollenwandel durch. Ovid berichtet in seinen „Fasten“ ausführlich darüber, wie der verliebte Herkules mit Omphale die Kleidung tauscht (Ovid, Fasti 2,317-326). In den fiktiven Briefen von Heroinen, Heldinnen aus der Mythologie, lässt Ovid den Halbgott in seiner Sklavenzeit Wolle spinnen (Ovid, Briefe von Heroinen 9,75-80, Übersetzung nach Heinze): „Weigerst du dich, (Herkules), nicht, die Hand […] an die glatten Wollkörbchen zu legen, und ziehst du mit deinem kräftigen Daumen dicke Fäden und gibst du der berüchtigten Herrin (gemeint ist Omphale) das gleiche Maß Wolle zurück? Ach, wie oft haben deine übermächtigen Hände die Spindeln zermalmt, während du mit harten Fingern die Wollfäden zogst.“ (Abb. 4).
Im Vergleich lassen die Schilderungen zu Achill und zu Herkules mehrere Parallelen erkennen. Beide scheiden zeitweise gezwungenermaßen aus ihrem Heldendasein aus, beide vollziehen einen Wechsel in eine Frauenrolle, beide erlernen das Spinnen. Doch wachsen beide nicht in dieses Leben hinein, sie stellen sich ungeschickt an und zerbrechen die fragilen Werkzeuge. Mit diesem Detail war für die kundige Leserschaft bereits klar, dass sich die wahre Natur der Helden nicht dauerhaft unterdrücken lässt. Und beide zeugen selbst in dieser Lebensphase Nachkommen. Achilles schwängerte Deidameia und Herkules gründete mit Omphale eine mehrköpfige Familie. Nach seiner unfreiwilligen Dienstzeit haben Herkules wie Achilles die Frauenrolle wieder verlassen.
In der griechischen Kultur war Homosexualität akzeptiert unter der Voraussetzung, dass der Mann sich dem männlichen Rollenbild konform verhielt. Bei den Römern dagegen war Homosexualität zwar nicht verboten, galt jedoch in gebildeten, konservativ eingestellten Kreisen grundsätzlich als unmännlich. Deswegen konnte das Spinnen von Wolle als Chiffre für homophobe Anspielungen genutzt werden. Dafür zwei Beispiele: Juvenal greift in einer Satire homosexuelle Männer an, und nutzt in diesem Zusammenhang das Verlassen der Genderrolle bei beiden Geschlechtern als Projektionsfläche seiner Kritik (Juvenal 2,53-56., Übersetzung nach Schnur): „Freilich, es gibt ein paar Ringkämpferinnen, es gibt einige Frauen, die Athletenkost essen. Aber ihr spinnt Wolle, ihr tragt sie in Körbchen fort, wenn sie gekrempelt ist; ihr dreht die vom Faden schwellende Spindel …“. Auch Cicero greift das Thema in einer Anekdote auf, freilich zahlt der Bedrängte hier verbal mit gleicher Münze zurück (Cicero, Über den Redner 2, 277, Übersetzung nach Merklin): „Als der frühere Konsul Q. Opimius, der als ganz junger Mann einen schlechten Ruf gehabt hatte, an den eleganten Egilius, der etwas weichlich wirkte, ohne es zu sein, die Frage richtete: ‚Wie steht’s, meine Egilia? Wann kommst du mit deinem Spinnrocken und deiner Wolle zu mir?‘ erwiderte er: ‚Oh nein, das würde ich nie wagen, denn meine Mutter hat mir verboten, zu Damen mit zweifelhaftem Ruf zu gehen.‘“
Die antike Geschichtsschreibung kennt und verurteilt auch prominente und mächtige Männer, die freiwillig Frauenkleider tragen und Textilarbeiten verrichten. Bei einer Erörterung über Frauenherrschaft berichtet der Schriftsteller Athenaios zunächst über Omphale und erwähnt dann den lydischen König Midas, der so verweichlicht gewesen sei, dass er mit den Frauen Wollarbeiten an den Webstühlen verrichtet habe (Athenaios, Gelehrtenmahl 516 b).
Ausführlicher sind die Historiker Diodor und Justin bei der Schilderung eines anderen Herrschers. Es handelt sich dabei um den Assyrer Sardanapolus, der, so Diodor (2,23-24) sowie Justin (1,3,2) weibischer war als eine Frau. Einer seiner Satrapen mit Namen Arbaces, der Statthalter bei den Medern gewesen war, hatte nach großen Schwierigkeiten – Diodor berichtet gar von Bestechung – Zutritt zu Sardanapolus erhalten und fand diesen, üppig geschminkt und in Frauenkleidern, unter einer großen Zahl von Konkubinen vor, wie er mit dem Spinnrocken Purpurwolle verspann und den Mädchen Aufgaben zuwies. Arbaces, so Justin weiter, fand es bei diesem Anblick unwürdig, dass waffentragende Männer unter dem Befehl einer Person stünden, die mit Wolle arbeitete, und er ging zu seinen Kameraden und meinte, er könnte sich nicht jemandem unterwerfen, der mehr Frau als Mann sei. Damit formulierte er die Legitimation für einen Aufstand. Bei diesen Texten ist die Leserschaft von Interesse, die die Autoren als Zielgruppe vor Augen hatten: das gebildete hellenistisch-römische Publikum. Diesem wurde vermittelt, dass ein Herrscher wie Sardanapolus, der seine Geschlechterrolle verließ, damit auch seinen Regierungsanspruch verwirkt hatte. Einem Wechsel von Genderrollen bei den Mächtigen erteilen diese Autoren eine Absage und sind wohl auch der Ansicht, dass weite Teile der Leser diese Meinung teilen.
Das Sprachbild von der vermeintlichen Unvereinbarkeit von militärischen und politischen Leistungen und der durch das Spinnen repräsentierten weiblichen Welt wurde bis weit in die Spätantike verstanden. Ein im 6. Jahrhundert n. Chr. in Italien erfolgreicher Feldherr namens Narses, der beim byzantinischen Kaiserpaar in Ungnade gefallen war, machte sich offenbar auch durch die Tatsache angreifbar, dass er ein Eunuch war. So berichtet die so genannte Fredegar-Chronik (Geschichte der Langobarden III 65, Übersetzung nach Kustering): „Die Kaiserin schickte ihm nämlich deshalb, weil er ein Eunuch war, ein sonst für Frauen bestimmtes aus Gold gefertigtes Gerät, mit dem er Spinnfäden drehen sollte (und fügte hinzu), er solle eher über die Spinnerinnen herrschen als über ein Volk.“ Narses soll also in einer als demütigend zu verstehenden Weise aus seiner erfolgreichen Männerrolle verdrängt und in die Sphäre der Frauen verwiesen werden. Das nimmt er allerdings so nicht hin, er kehrt später nicht mehr an den byzantinischen Hof zurück. Übrigens legt dieser Auszug nahe, dass in Byzanz auch in dieser Zeit wohlhabende Hausfrauen ihre Spinnstuben beaufsichtigten.
Im aufkommenden Christentum spielt das Spinnen nach wie vor eine große Rolle. Das so genannte Protoevangelium des Jakobus, eine seit der Spätantike bekannte Schrift, die nicht in den Kanon der Bibel aufgenommen worden ist, beschreibt in Erweiterung des Lukasevangeliums die Jugend der Maria. Bei der Beschreibung der Empfängnis Mariens heißt es, dass diese neben weiteren Jungfrauen den Auftrag bekam, einen neuen Vorhang für den jüdischen Tempel in Jerusalem anzufertigen. Auf Maria entfiel die Herstellung der Teile, bei denen die Wolle mit echtem Purpur und Scharlach gefärbt war (Protoevangelium des Jakobus 10,3-11,1, Übersetzung nach Cullmann): „Maria aber nahm den Scharlach und spann. Und sie nahm den Krug und ging hinaus, um Wasser zu schöpfen, und siehe, eine Stimme sprach: ‚Sei gegrüßt, du Begnadigte […].‘ Und sie […] ging in ihr Haus, stellte den Krug ab, nahm den Purpur, setzte sich auf ihren Stuhl und spann ihn aus. Und siehe ein Engel des Herren stand (plötzlich) vor ihr …“ Der Engel verkündigt Maria dann, dass sie Jesus gebären wird. Die Szene ist beispielsweise auf einer spätantiken Dose (pyxis) aus Elfenbein dargestellt, die sich heute in Berlin befindet. Links sitzt Maria auf einem Faltstuhl, mit der erhobenen linken Hand hält sie den Rocken, in der Rechten den Faden mit der Spindel, die zum Schutz vor Verschmutzung in einem Gefäß liegt. Von rechts nähert sich der geflügelte Verkündigungsengel (Abb. 5).
Christliche Schriftsteller übernehmen teilweise die konservativen Ideale ihrer Zeit, nach denen die mustergültige Frau Textilien herstellt. Für die Kleidung weisen sie aber häufig jeden besonderen Luxus zurück. So empfahl der hl. Hieronymus für die Mädchenerziehung (Brief an Laeta 107,10. Übersetzung nach Schade): „Sie lerne Wolle kämmen, den Spinnrocken halten, das Wollkörbchen auf den Schoß setzen, die Spindel drehen und den Faden mit dem Daumen ausziehen. Sie gebe sich aber nicht mit Seide […] oder mit golddurchwirkten Geweben ab. Die Kleider, die sie sich anfertigt, sollen gegen Kälte Schutz bieten, aber kein Mittel sein, um den entblößten Körper zur Schau zu tragen.“
Mit der Gründung erster Klostergemeinschaften im 4. Jahrhundert kommt ein neuer Gesichtspunkt hinzu, da die Mönche in vielen Dingen Selbstversorger waren und darüber hinaus ihre Produkte für die Unterstützung von Bedürftigen verkauften. Dazu gehörte auch Kleidung. So heißt es in der Lebensbeschreibung des ägyptischen Klostergründers Pachomius (Leben des Pachomius 4, Übersetzung nach Mertel): „Da erkannte der heilige Palamon mit eindringendem Blick des Pachomius Glauben an das Heil und seine Bereitwilligkeit; er öffnete die Türe, nahm ihn auf und bekleidete ihn mit der Tracht der Mönche. Und beide lebten von nun an demselben Ziel der Askese und widmeten ihre Zeit den Gebeten. Ihre Arbeit aber bestand darin, Haare zu spinnen und Kleider zu weben.“
Basilius von Caesarea gibt in seinen Regeln für das Mönchsleben an, dass die Brüder beim Weben der Stoffe und der Herstellung des Schuhwerks auf Schlichtheit achten sollten (Regulae fusius tractatae 39). Männer, die das monastische Leben nach diesen Grundsätzen anstrebten, mussten solche Arbeiten notfalls erlernen. Die in der hier vorgestellten Literatur aufscheinende traditionelle Einstellung, nach der ein in der Gesellschaft anerkannter Mann weder spinnen noch weben würde, galt in den frühen Mönchsgemeinschaften mit ihren spezifischen Idealen nicht.
Wenn in der Klassischen Antike das Spinnen als Symbol für moralische Werte und Geschlechterrollen verwendet wird, dann stets in Verbindung mit Wolle. Die Herstellung von Leinengarn hingegen fand, obwohl sie als Wirtschaftsfaktor ebenso bedeutend gewesen sein muss (Gleba, Linen production), kaum einen Niederschlag in Kunst und Literatur.
Ein Grund dafür mag gewesen sein, dass es schwierig war, dabei eine gute Figur zu machen. Flachs spinnen ist anstrengender als Wolle. Außerdem wurden die Fasern, wie noch in späterer Zeit üblich, vermutlich angefeuchtet, indem sie durch den Mund gezogen wurden, was rissige Lippen zur Folge hatte (Teller, Leinbau S. 41).
Wenig ist über das Aussehen der römischen Geräte zur Verarbeitung pflanzlicher Spinnmaterialien bekannt. Die Handrocken sind jedenfalls zu kurz dazu (siehe Spinn-Blog I-II. Spinn-Blog I: http://afmblog.de.dedi523.your-server.de/kilometerarbeit-roemische-spinnkunst.html ; Spinn-Blog II: http://afmblog.de.dedi523.your-server.de/kilometerarbeit-roemische-spinnkunst-teil-2-von-3.html). Die spröden Flachsfasern dürfen nur locker gebunden sein und man braucht beide Hände, um sie herauszuziehen. Dafür ist ein Stock von etwa 80 cm Länge notwendig, der genug Platz für die Fasern bietet und unter den Arm oder zwischen die Beine geklemmt werden kann. Die Griechen benutzten außerdem, laut schriftlicher Übelieferung, ein Holzgestell, das sie als „γέρων“ („geron“), Greis, bezeichneten (vgl. Pollux, Onomastikon VII 73), wohl weil die Farbe der daran herabhängenden Flachsfasern an die Haarsträhnen eines alten Mannes erinnerten.
Das Verspinnen von Pflanzenfasern zeigt ein Relief vom Sarkophag des Trophimas in Rom: Ein stehender Mann zieht mit der linken Hand Fasern aus einem von der Decke hängenden Bündel und verdrillt sie zu einem dicken Strang, indem er mit der anderen Hand eine Spindel mit Hochwirtel über den Oberschenkel rollt (Abb. 6). Ob hier Flachs oder Hanf verarbeitet wird, muss offenbleiben. In diesem Fall dient das Spinnmotiv übrigens nicht dazu, mangelnde Männlichkeit anzukreiden. Kein Geringerer als Plinius der Ältere bemerkt nämlich in seiner berühmten Naturgeschichte (19,3,18): „... Flachs spinnen steht auch Männern (gut)...“.
Im Text zitierte antike Quellen:
Cicero, Über den Redner: H. Merklin (Hrsg. und Übersetzung), Cicero, Über den Redner (Stuttgart 1996).
Fredegar-Chronik: A. Kustering (Übersetzung), Die vier Bücher der Chroniken des sogenannten Fredegar. In: H. Wolfram (Hrsg.), Quellen zur Geschichte des 7. und 8. Jahrhunderts. Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 4a (Darmstadt 1982).
Hieronymus, Brief an Laeta: In: L. Schade (Übersetzung), Des heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus ausgewählte Briefe 2. Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 16 (München 1936).
Protoevangelium des Jakobus: O. Cullmann (Übersetzung) in: E. Hennecke / W. Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. 3. Auflage Band I (Tübingen 1959) S. 280-290.
Juvenal: H. Schnur (Übersetzung), Juvenal, Satiren. (Stuttgart 1988).
Ovid, Fasten: F. Bömer (Hrsg. und Übersetzung), P. Ovidius Naso. Die Fasten Bd. I (Heidelberg 1957).
Ovid, Briefe an Heroinen: Th. Heinze (Hrsg. und Übersetzung), Ovid, Briefe von Heroinen (Darmstadt 2016).
Leben des Pachomius: H. Mertel (Übersetzung) in: A. Stegmann, Des heiligen Athanasius ausgewählte Schriften. Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 31 (München 1917).
Tertullian, Über den Philosophenmantel: In: H. Kellner (Übersetzung), Tertullian, private und katechetische Schriften. Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 7 (München 1912).
Ausgewählte Literatur:
Gleba, Linen production: M. Gleba, Linen production in Pre-Roman and Roman Italy. In: C. Alfaro/J. P. Wild/B. Costa (Hrsg.), Purpureae Vestes. Textiles y tintes del Mediterráneo en época romana. Actas del I Symposium Internacional sobre Textiles y Tintes del Mediterráneo en Época Romana (Ibiza, 8 al 10 de noviembre, 2002), Valencia 2004, S. 29-37.
Teller, Leinbau: M. Teller, Der Leinbau, die Flachsbereitung und das Feinspinnen in der Spinnschule zu Udersbach (Königgräz 1846).
Bildnachweise:
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2: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Paphos_Haus_des_Theseus_-_Mosaik_Achilles_3a_Peleus_Klotho.jpg Wikipedia, Autor Wolfgang Sauber
3: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/fd/05 Mosaico_del_Oecus._Aquiles_en _Skyros_alta.jpg Wikipedia, Autor PericlesofAthens
4, 6: Gisela Michel
5: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Box_(pyxis)_with_a_scene_from_the_life_of_the_ Virgin,_Eastern_Roman_Empire,_late_400s_to_early_500s,_ivory,_view_1_-_Bode-Museum_-_DSC03495.JPG Wikipedia, Autor Daderot.
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