Wenn Gladiatoren sterben sollen … Daumen runter?

Raymund Gottschalk (2023)

Daumen hoch, wenn es gefällt – und wenn nicht? Klar, dann geht es übel aus. Denn das sagen uns schon alte Kino-Blockbuster. Peter Ustinov als Kaiser Nero oder Joaquin Phoenix als Commodus reckten in Filmrollen die Daumen nach unten, um so das Todesurteil für einen Gladiator zu verkünden. Die Bedeutung dieser Geste ist heute so tief in unserer Gesellschaft verankert, dass ein nach unten gerichteter Daumen sofort als negatives Zeichen erkannt wird (Abb. 1).

Vielleicht sind die auf- oder abwärts gerichteten Daumen die bekanntesten, aber leider nur vermeintlich aus der Antike stammenden Gesten. Einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf unser modernes Seh- und Wahrnehmungsverhalten zu diesem Handzeichen hat das 1872 entstandene Gemälde „Pollice Verso“ des französischen Historienmalers Jean-Léon Gérôme (Abb. 2). Hier soll nur auf einen Detailausschnitt eingegangen werden, der die Handhaltung zur Verurteilung des unterlegenen Gladiators mit dem Daumen nach unten zeigt. Besonders auffällig positioniert sind hier die in Weiß gekleideten Priesterinnen, die Vestalischen Jungfrauen rechts auf der Tribüne. Das literarische Vorbild dieser Szene ist einem Buch des spätantiken christlichen Dichters Prudentius entnommen, das um 400 n. Chr. entstanden ist (Prudentius, c. Symm. II, 1064–1129, bes. 1099). Nach Prudentius bejubeln die römischen Priesterinnen der Göttin Vesta in der Arena die Sieger und geben ihnen Kosenamen, blutdürstig fordern sie mit einem Daumensignal converso pollice, also übersetzt „mit gedrehtem Daumen“, den Tod des Verlierers. Das Bild hat Einfluss auf die Filmgeschichte genommen; der Regisseur Ridley Scott ließ sich für seinen oscarprämierten Film „Gladiator“ davon inspirieren.

 

Ob die Haltung mit dem Daumen nach unten überhaupt richtig war, wurde bereits im 19. Jahrhundert diskutiert. Sogar der Maler Gérôme hat sich an dieser Diskussion beteiligt. Die große Schwierigkeit lag und liegt darin, dass es keine antiken Abbildungen des Todessignals gibt. In den antiken Schriftquellen existiert nur noch eine weitere Erwähnung beim römischen Satiriker Juvenal. Dieser schreibt im 1. Viertel des 2. Jahrhunderts n. Chr., dass bei Gladiatorenspielen der Pöbel mit dem Signal des gedrehten Daumens, pollice verso, den Tod des unterlegenen Gladiators fordern darf (Iuv. 3,36.). Auch Juvenal geht aber nicht näher darauf ein, wie die Geste genau aussieht.

In der Forschung sind zur Herleitung und Rekonstruktion des Gestus zahlreiche unterschiedliche Ansätze verfolgt worden, die ihrerseits ganz unterschiedliche Ergebnisse erbracht haben. So wurde erwogen, dass der Daumen auf den unterlegenen Gladiator zeigen müsste. Da sich die Arena unterhalb des Publikums befindet, wäre dies ein Argument für die auf dem Gemälde gezeigte Richtung nach unten. Doch auch genau das Gegenteil stand zur Debatte. Der Daumen, so der Gedanke, stünde symbolisch für die Richtung der zustoßenden Waffe, die zur Kehle oder zur Brust gerichtet wäre und daher nach oben weisen müsse.

Der Sprachwissenschaftler Anthony Corbeill hat darauf hingewiesen, dass in den beiden antiken Texten ausschließlich von einer Drehung des Daumens die Rede ist. Der Rest der Hand ist in den schriftlichen Quellen gar nicht erwähnt. Corbeill kommt zu dem Schluss, dass wir nicht beweisen können, dass die übrige Hand zur Ausführung des Todessignals in der Arena überhaupt bewegt werden musste. Dagegen ist allerdings eingewandt worden, etwa von Marcus Junkelmann, dass eine Daumenbewegung allein aus einer größeren Entfernung kaum zu sehen war. Junkelmann geht daher auch davon aus, dass mit dem Daumen eine zustoßende Bewegung wie mit einem Schwert ausgeführt worden ist. Dies wiederum entspricht aber nicht der Beschreibung der antiken Autoren.

Für das Problem hat sich in jüngerer Zeit eine überraschende neue Lösung gefunden. Als wir an dieser Stelle eine Serie von drei Blogs zum Spinnen mit der Hand vorgestellt haben, sind wir auf experimentelle Rekonstruktionen der Arbeitstechniken eingegangen. Dabei ist mir aufgefallen, dass auch bei dieser Arbeit dem Daumen eine entscheidende Bedeutung zukommt. Der Daumen wirft die Spindel an, mit der der Faden produziert wird; am Ende kann das Gespinst auch mit einer Daumenbewegung gekappt werden (Abb. 3). In Experimenten hat sich gezeigt, dass der Daumen in beiden Fällen im Gelenk gedreht wird. Also genau so, wie es der Ausdruck pollice verso nach der sprachwissenschaftlichen Analyse aussagt. Das Spinnen spielte eine außerordentlich große Rolle im Alltag, da alle textilen Produkte mit der Hand hergestellt wurden. Die Spinnbewegungen waren daher allbekannt. Um von der Handarbeit zu den Gesten der Arena zu kommen, sind aber noch mehrere andere Argumente nötig.

Einen eigenen Stellenwert hat das Spinnen auch in der Mythologie, so gilt die Göttin Athene traditionell oft als Erfinderin der Textilarbeit. Seit der Zeit des Kaisers Augustus spielen in den Schriftquellen zur römischen Mythologie auch die Schicksalsgöttinnen, die Moiren oder Parzen, als Spinnerinnen der Schicksalsfäden eine wichtige Rolle.

Den Schicksalsgöttinnen kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Sie werden auf den Grabsteinen von Gladiatoren nicht selten für den Tod der Kämpfer verantwortlich gemacht (Abb. 4). Mit Drehungen des Daumens setzten sie die Spindel in Gang und spannen deren ungünstigen Lebensfaden, mit einer drehenden Daumenbewegung rissen sie diesen Lebensfaden ab. Von daher ergibt sich nun eine ganz neue Interpretationsmöglichkeit. Das Publikum vollführte mit dem Gestus pollice verso die gleichen Bewegungen wie die spinnenden Parzen, wenn es das Sterben des Verlierers wünschte. Die Zuschauer konnten also dessen ungünstiges Schicksal oder das Beenden seines Lebensfaden mit der „drehenden“ Spinnbewegung des Daumens anzeigen.

Die römische Mythologie kennt sogar eine Situation, in der die Schicksalsgöttinnen selbst ein Urteil mit einem Handgestus fällen. Der um 96 n. Chr. gestorbene Dichter Statius schildert im 8. Buch seiner Thebais (Stat. Theb. 8,26) eine Szene, bei der der Herrscher der Unterwelt die Seelen der Verstorbenen nach ihren Verbrechen befragt. Anschließend verdammen die Parzen diese – natürlich – mit dem Daumen. Dieses Signal der Schicksalsgöttinnen steht hier im Zusammenhang mit der Arbeit des Spinnens, die geradezu die Essenz der Tätigkeit der Parzen ist.

 

Die sprachwissenschaftliche Begründung, nach der die Formulierung pollice verso für die Geste in der Arena in erster Linie eine Bewegung des Daumens beschreiben soll, lässt sich also mit Hilfe von Schriftquellen, unter Berücksichtigung von Gladiatorengrabsteinen und der experimentellen Archäologie zu einem neuen Gesamtbild zusammenfügen. Das Publikum vollzieht demnach bei der Todesforderung Daumenbewegungen, die für das Spinnen mit der Hand charakteristisch sind. Symbolisch wird damit das Wirken der Parzen ausgedrückt, die den negativen Schicksalsfaden herstellen oder den Lebensfaden des unterlegenen Gladiators beenden.

Gerade das Anwerfen der Spindel erfolgt im Alltag nicht einmalig, sondern muss beständig wiederholt werden. Der entsprechende Gestus ist daher auch nicht statisch, sondern konnte vom Publikum immer wieder ausgeführt werden. Dabei gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Einmal wurde der Daumen nach oben gehalten und der Spindelstab über den Zeigefinger angedreht. Die andere Möglichkeit besteht darin, die Spindel mit dem Daumen nach unten wie einen modernen Spielzeugkreisel anzuwerfen (Abb. 5 und 6). Aus der Distanz gesehen haben beide Bewegungen wohl eine gewisse Ähnlichkeit zum Fingerschnipsen von eifrigen Schulkindern, wenn auch die Daumenbewegung etwas anders funktioniert. Es entstand in einer großen Menge daher ein flirrender Gesamteindruck, der auch auf eine gewisse Entfernung deutlich erkennbar war. Vermutlich verliehen die Zuschauer der Todesforderung auch noch durch Rufe Nachdruck.

Das Publikum war von der Leistung des Verlierers wenig angetan, wenn dieser zu wenig Einsatz gezeigt hatte oder nicht tapfer kämpfte. In diesem Fall blieb die Menge unzufrieden und unruhig, was zum bewegten Bild mit den beständig gedrehten Daumen gut passt.

Eine andere Frage ist die nach dem gegenteiligen Gestus, mit dem der Unterlegene begnadigt worden ist. Hierfür wird in der Forschung der lateinische Ausdruck pollicem premere favorisiert, der in der Naturgeschichte von Plinius dem Älteren erwähnt wird (Plin. nat. 28,25). Dabei wird wahrscheinlich der Daumen oben an die Faust gedrückt. Der Unterschied zur Todesforderung liegt darin, dass es sich um eine ruhige Geste handelt. Geistesgeschichtlich ist dies nachvollziehbar, wurde doch mit der Begnadigung Milde (clementia) ausgedrückt. Diese clementia galt in römischer Zeit als eine charakterliche Tugend, sie geht mit einer ausgeglichenen, also ruhigen Gemütsverfassung einher. Die Zuschauer, die die Begnadigung eines tapferen oder vielleicht auch nur besonders beliebten Verlierers wünschten, hätten dann nach Beendigung des Kampfes eine souveräne Ruhe gezeigt.

Nach den hier vorgestellten Forschungen war es egal, ob der Daumen bei der Forderung nach dem Tod des Verlierers bei den Gladiatorenkämpfen nach oben oder nach unten gewiesen hat. Schließlich sind beide Daumenhaltungen beim Spinnen möglich. Oder anders gesagt: Ein römisches Publikum hätte einen nach unten gereckten Daumen nicht als Todessignal verstanden. Es hätte vielmehr erwartet, dass die Daumen ständig in drehender Bewegung bleiben, pollice verso eben. Für die heutige Wahrnehmung ist diese Erkenntnis natürlich kaum von Belang. Die Bedeutung der Daumengesten hat sich in weiten Teilen der Welt etabliert und wird verstanden, so wie sich auch Begriffe der Alltagssprache mit der Zeit wandeln können. Die Bedeutung des nach oben oder unten weisenden Daumens als positives oder negatives Signal ist eben der Gebrauch in der Gegenwart.

Im Text erwähnte Quellen und Übersetzungen

Juvenal: H. Schnur, Juvenal, Satiren (Stuttgart 1996), Lat. / Deutsch.

Plinius, Naturgeschichte: R. König, Plinius, Naturgeschichte (Stuttgart 1973 ff.), 37 Bücher, Lat. / Deutsch.

Prudentius, Gegen Symmachus: H. Tränkle, Contra Symmachum – Gegen Symmachus (Turnhout 2008), Lat. / Deutsch.

Statius Thebais: O. Schönberger, Der Kampf um Theben (Würzburg 1998), deutsche Übersetzung der Thebais des Statius.

 

Literatur

Raymund Gottschalk mit Gisela Michel und Sonja Ackermann, Pollice verso – was macht der Daumen? Kölner Jahrbuch 54, 2021, 371–389.

 

Blogbeiträge von Raymund Gottschalk, Gisela Michel und Sonja Ackermann zum Spinnen in der Antike

https://blog.afm-oerlinghausen.de/kilometerarbeit-roemische-spinnkunst/

https://blog.afm-oerlinghausen.de/kilometerarbeit-roemische-spinnkunst-teil-2-von-3/

https://blog.afm-oerlinghausen.de/spinnrocken-in-maennerhand-mythos-und-geschichte-spinn-blog-teil-iii/

 

Ausgewählte weitere Literatur

A. Corbeill, Nature Embodied. Gesture in Ancient Rome (Princeton 2004).

H. Gnilka, Prudentius. Contra orationem Symmachi: Eine kritische Revue (Münster 2017), Exkurs.

M. Junkelmann, Gladiatoren. Das Spiel mit dem Tod (Mainz 2008).

Chr. Mann, „Um keinen Kranz, um das Leben kämpfen wir!“. Gladiatoren im Osten des römischen Reiches und die Frage der Romanisierung (Berlin 2011). Zusammenstellung von 26 Gladiatorengrabsteinen mit Nennung der Moiren (darunter mehrfach die Erwähnung des Schicksalsfadens).

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