Symeon, Säulenheiliger aus Syrien

Vier Quadratmeter Wohnfläche im fünften Stock, Zugang nur über eine Leiter, keine Heizung, kein fließendes Wasser, keine Toilette und kein Dach. Das ist glücklicherweise keine Maklerannonce für eine Zimmervermietung in einer deutschen Großstadt. Stattdessen lebte so, ganz freiwillig, für mehr als 30 Jahre der bekannteste Säulenheilige der Geschichte (Abb. 1). Über Symeon Stylites den Älteren, so sein Name, sind wir verhältnismäßig gut unterrichtet. Er fand Bewunderer, die den Heiligen und seine Umwelt bereits zu dessen Lebzeiten erstmals ausführlich beschrieben haben.

Symeon wurde um das Jahr 390 in einem kleinen Ort im heutigen türkisch-syrischen Grenzgebiet geboren, als Kind getauft und trat nach einem religiösen Erweckungserlebnis in ein Kloster ein. Dort fiel er schnell durch eine außergewöhnlich asketische Lebensweise auf. Sein Fasten, sein Schlafverzicht und andere Bußübungen gingen so weit über die Bemühungen seiner Mitbrüder hinaus, dass diese eifersüchtig wurden und sich beim Abt beklagten. Einmal ließ er sich sogar zwei Jahre in der Erde eingraben. Der Klostervorstand ermahnte Symeon, die anderen nicht immer übertreffen zu wollen und sich in die Gemeinschaft einzufügen. Doch dieser unterlief die Aufforderungen, so versteckte er die ihm zugewiesenen Speisen, weil er intensiver fasten wollte als es vorgegeben war. Schließlich drängten die anderen Mönche den Abt, Symeon zu entlassen. Dem kam er zuvor, verließ nach sieben Jahren das Kloster freiwillig und zog zunächst in ein anderes Kloster und dann in eine entlegene kleine Hütte auf einem Berg im nordsyrischen Kalksteinmassiv. Drei Jahre danach gab er den Schutz des Gebäudes auf und ließ sich im Freien in einer Einfriedung an einen Felsen ketten. Schon in dieser Zeit verbreitete sich sein Ruf als Wundertäter, der Kranke heilte. Wie der erste seiner Biographen, Bischof Theodoret von Cyrus (Mönchsgeschichte 26) beschreibt, trafen wahre Massen von Pilgern ein, die ihn berühren wollten und „aus seiner Pelzgewandung Segen zu erholen“ hofften. Die Besucher bedrängte Symeon also dermaßen, dass sie sogar Stücke aus seiner Kleidung herauszupften, um heilsbringende Reliquien zu erhalten.

Um dieser Belästigung zu entgehen und dem Himmel näher zu sein, so Theodoret, stieg er zunächst auf eine sechs Ellen (etwa drei Meter) hohe Säule (griechisch: stylos), die in der Umfriedung errichtet wurde. Im Laufe seines Lebens zog Symeon noch dreimal auf eine andere Säule um, wobei die letzte und höchste etwa 18 m gemessen haben soll. Den Innenbereich der Umfriedung durften allerdings nur Männer betreten, selbst Symeons Mutter erhielt dort keinen Zutritt.

Insgesamt verbrachte der Asket 37 Jahre auf seiner hohen Warte, herunter stieg er nicht mehr. Zwar verzichtete Symeon in längeren Zeitspannen auf Essen und Trinken, und während der vierzigtägigen Fastenzeit vor Ostern nahm er gar nichts zu sich. Für das notwendige Minimum an Versorgung hatte er Vertraute, die mit Hilfe einer Leiter zu ihm emporsteigen konnten. Eine Abbildung auf einem Basaltrelief, das sich heute in Berlin befindet (Abb. 2), zeigt einen Mönch auf der Leiter, der ein Gefäß mit Lebensmitteln, vielleicht aber auch einen Räucherkelch emporträgt.

Auf der Säule war Symeon ein wahrer Magnet für Pilgerscharen, die weite Anreisen nicht scheuten. Außer Christen kamen auch Anhänger anderer Religionen, die sich von ihm bekehren ließen. So sollen Angehörige eines orientalischen Stammes in großen Zahlen gekommen sein, die anschließend ihre Götterbilder zerstörten und auch auf Ausschweifungen verzichteten, welche zur Verehrung einer mit Aphrodite verbundenen Liebesgöttin gehörten. Angeblich reichte sein Einfluss über die Grenze hinweg bis nach Persien, wo er sich für die Belange der Christen einsetzte.

Glaubt man den Überlieferungen, wirkte Symeon zahlreiche öffentliche Wunder. So soll er Gelähmte geheilt, die Zukunft vorausgesagt und aus der Ferne Schiffe aus Seenot gerettet haben. Ein besonderes Spektakel für das Publikum scheint nach der Überlieferung bei Theodoret (Mönchsgeschichte 26) eine Gebetsform gewesen zu sein, bei der der Stylit zunächst lange aufrecht dastand und sich dann immer wieder in Verehrung niederbeugte. „Vielfach pflegten die Pilger die Verbeugungen zu zählen. Einmal zählte einer meiner Begleiter eintausendzweihundertvierundvierzig. Dann wurde er müde und stellte die Zählung ein. Wenn er sich aber bückt, so neigt er die Stirne stets bis zu den Zehen.“

Der Säulensteher war im wahrsten Sinne des Wortes eine öffentliche Person, war doch alles, was er tat, wie er Hitze und Kälte aushielt, rund um die Uhr und das ganze Jahr hindurch von unten sichtbar. Diese Außenwirkung als – modern gesprochen – extreme Form religiösen Marketings war nach Theodoret absolut gewollt (Mönchsgeschichte 26): „Man kommt, um zu schauen, und geht fort mit dem göttlichen Worte im Herzen.“ Die Schau- und vielleicht auch Sensationslust lockte demnach als Teil eines niederschwelligen Angebotes Besuchermassen herbei, die dann auch die frommen Botschaften hörten. Der Effekt war vielleicht deswegen besonders groß, weil er über Jahrzehnte hinweg anhielt. Es kam schließlich mehr als eine Generation von Pilgern in den Genuss der regelmäßigen Vorführungen und Wundertaten, genug Zeit, um die Verehrung des Styliten fest in der Bevölkerung zu verankern.

Evagrius Scholasticus, ein Kirchenschriftsteller des 6. Jahrhunderts, überliefert eine Anekdote, nach der ägyptische Äbte die neue Form der religiösen Verehrung zuerst kritisch sahen (Evagrius Scholasticus, Kirchengeschichte I,13). Sie ließen durch einen Boten die Frage und die Botschaft übermitteln: „was das für ein neuartiger Lebenswandel sei, warum er den üblichen und von den Heiligen begangenen Weg verlassen habe und einen anderen, fremden und den Menschen unbekannten Weg gehe; und dass sie ihm aufgetragen hätten, herabzusteigen […] Wenn er sich aber widersetze oder Sklave seines eigenen Willens geworden wäre […] so solle man ihn mit Gewalt herunterziehen.“ Da Symeon angeblich sofort der Aufforderung Folge leisten wollte, konnte er dann aber auf seiner Säule bleiben. Evagrius betont dabei ausdrücklich, dass der Heilige dort verweilen durfte, weil sein Stehen von Gott gewollt sei. Symeon Stylites handelt demnach nicht auf eigenen Entschluss, sondern ist durch eine höhere Autorität eingesetzt.

Wie der Autor extra hinzufügt, ist diese Geschichte in den älteren Lebensbeschreibungen Symeons nicht überliefert worden. Möglicherweise mussten hier also im Rückblick Konflikte aufgearbeitet werden. Die erfolgreichen Säulenheiligen konnten sich in wichtigen Fragen nämlich eigene, unabhängige Positionen erlauben und diese zu Gehör bringen. So hatte Symeon der Ältere die Beschlüsse des kirchengeschichtlich sehr bedeutenden Konzils von Chalcedon im Jahr 451 nicht gutgeheißen und dies auch dem Kaiser mitgeteilt. Wenn Kirchenobere wie Äbte oder Bischöfe ihren Einfluss bei prominenten wie einfachen Gläubigen behaupten wollten, konnten also Konkurrenz- und Konfliktsituationen entstehen. Mit seiner Erzählung liefert Evagrius nachträglich die Legitimation für das erfolgreiche weitere Wirken von Symeon Stylites und damit indirekt auch für dessen Nachfolger.

Symeon war kein stiller Heiliger. Der Prophet Elias erscheint ihn in einer Vision und stattet ihn mit weltlicher Autorität aus (Syrische Lebensbeschreibung des hl. Symeon 81): „Du sollst dich nicht fürchten […] weder vor Königen noch vor Richtern, und nicht Partei nehmen für die Reichen, sondern offen weise sie zurecht […].“ Das tat er dann auch. Er predigte nicht nur von der Säule herunter, sondern gab den Leuten Ratschläge, sorgte für Freilassungen von Sklaven, ja er konnte sogar Zinssenkungen für Geldgeschäfte durchsetzen (Syrische Lebensbeschreibung des hl. Symeon 57). Sein Ruf drang bis in die Hauptstadt Konstantinopel und an den Kaiserhof. Kaiser Theodosius II. (Abb. 3) selbst hat ihn besucht und ist zu ihm auf die Säule gestiegen. Als der Herrscher von einer Krankheit Symeons erfuhr, sandte er Bischöfe, um ihn zu einer ärztlichen Behandlung zu bewegen, was dieser im Vertrauen auf göttliche Hilfe ablehnte (Syrische Lebensbeschreibung des hl. Symeon 88). Der Heilige mischte sich seinerseits in die kaiserliche Religionspolitik ein. Nach heutigen Maßstäben zeigt er sich dabei als christlicher Fanatiker, der seine Interessen rigoros durchsetzt und bei Auseinandersetzungen nicht auf Ausgleich setzt. So hatten Christen der jüdischen Bevölkerung Synagogen und andere Besitztümer weggenommen. Als ein Angehöriger der kaiserlichen Familie die Rückgabe veranlassen wollte, intervenierte Symeon beim Herrscher und verhinderte dies (Syrische Lebensbeschreibung des hl. Symeon 130 f.).

Besonders während seiner Fastenzeiten hatte Symeon Visionen. Dabei erschien ihm das Böse, häufig in Form von Tieren wie Schlangen und Löwen. Andere Erscheinungen machten ihm hingegen Mut, damit er seine Anstrengungen aushalten konnte. Mehrfach wird er darin mit alttestamentlichen Propheten wie Moses oder Daniel verglichen. In einige dieser Visionen weihte Symeon seine Vertrauensleute auf deren Drängen ein, gebot ihnen aber darüber zu schweigen (Syrische Lebensbeschreibung des hl. Symeon 90; 110).

Nach seinem Tod am 2. September 459 wurde der Leichnam zunächst nach Antiochia überführt, einige der Reliquien gelangten später auch nach Konstantinopel. Um den Standort der Säule herum entstand mit kaiserlicher Unterstützung die größte christliche Kirche der damaligen Zeit als Zentrum eines bedeutenden Pilgerortes. Die Ruinen des Kirchenbaus haben sich in Qalʿat Simʿan in Nordsyrien bis ins 21. Jahrhundert erhalten (Abb. 4). Während des syrischen Bürgerkrieges wurde dort die Basis von Symeons Säule im Jahr 2016 erheblich beschädigt.

Symeon der Ältere hatte im östlichen Mittelmeerraum mehrere Nachfolger, die diese Form der extremen Askese auf sich nahmen. Bekannt ist etwa Daniel Stylites, der im späten 5. Jahrhundert in der Nähe von Konstantinopel eine Säule bezog und dort auch von Kaiser Leo I. besucht wurde.

Ein anderer Säulenheiliger, der hl. Symeon Stylites der Jüngere (auch Symeon von Antiochien) war schon als sechsjähriger Junge erstmals auf eine Säule gestiegen und hat insgesamt über 60 Jahre dort gelebt. Er erreichte ebenfalls großen Einfluss, so korrespondierte er mit den oströmischen Kaisern Justinian I. und Justin II.

Eine Darstellung auf einem silbernen teilvergoldeten Votivblech, das sich nach der Beschriftung auf einen Symeon Stylites bezieht, befindet sich heute im Louvre (Abb. 5). Ob damit der ältere oder der jüngere Träger des Namens gemeint ist, ist nicht völlig gesichert. Sie zeigt den bärtigen und langhaarigen Heiligen, der mit einem spitzen Hut und einem Umhang bekleidet ist und ein Buch in den verhüllten Händen hält. Die Basis der Säule ist gestuft wie beim Original. Oben auf dem Kapitell befindet sich eine kleine Plattform mit einer niedrigen Balustrade. An die Säule ist eine Leiter angelehnt. Um den Säulenstumpf windet sich eine Schlange, über dem Haupt des Heiligen befindet sich eine Muschel. Die Handhabung des Buches mit verhüllten Händen ist eine Ehrenbezeugung für heilige Gegenstände, es handelt sich also um einen biblischen Text. Die Bedeutung der Schlange ist nicht eindeutig geklärt. Vielleicht symbolisiert sie die vergeblichen Angriffe des Bösen in Tierform, wie es für die Visionen überliefert ist. Allerdings ist auch eine Geschichte von Symeon dem Älteren überliefert, nach dem eine männliche Schlange den Heiligen aufsucht, um die Heilung seines kranken Weibchens zu erbitten (Antonius, Leben des Heiligen Symeon 25).

Die Schlange an der Säule ist beispielsweise auch auf einer weiteren, sehr einfach ausgeführten Basaltstele (heute im Louvre, Paris) abgebildet (Abb. 6). Dieses Steinrelief bietet außerdem auch eine Verbindung zu der Stele in Berlin (vgl. oben Abb. 2). Auf beiden Steinreliefs findet sich beim Kopf des Heiligen noch ein Vogel mit einem runden Gegenstand im Schnabel. Dieses Detail hat Viktor Elbern als den hl. Geist gedeutet, welcher Symeon einen Kranz oder eine Krone bringt; er hat dabei aber darauf hingewiesen, dass eine solche Geschichte in den Lebensbeschreibungen Säulenheiligen nicht vorkommt. Mit der gebotenen Zurückhaltung sei hier als Alternative ein Bezug zu einer Geschichte aus dem Leben des biblischen Propheten Elias hergestellt, der in der Einsamkeit auf Weisung Gottes von Raben mit Broten und Fleisch versorgt worden ist (1 Könige 17, 1-2). Im Verständnis seiner Zeitgenossen galt Symeon ebenfalls als einsam, da er sich von der Masse auf die Säule zurückgezogen hatte. Der Prophet Elias ist dem Styliten zudem mehrmals in Visionen erschienen. Für einen anderen Asketen, dessen Leben ebenfalls von Theodoret beschrieben wird und der übrigens auch Symeon hieß, ist eine solche symbolische Versorgung durch Raben wie bei Elias sogar ausdrücklich erwähnt (Theodoret, Mönchsgeschichte 6). Antiken Betrachter des Reliefs lieferte die religiöse Chiffre möglicherweise eine Erklärung dafür, wie der Säulenheilige mit gottgesandter, rein spiritueller Nahrung seine langen Fastenzeiten überstehen konnte.

Sollte diese Deutung zutreffen, könnten die heute in Berlin und Paris befindlichen Basaltreliefs eine verkürzte Darstellung der Fastenzeit Symeons bieten: Während seines Fastens wird er wie der Prophet Elias – natürlich rein symbolisch – von einem Raben ausschließlich mit göttlicher Nahrung versorgt, er hat Visionen und kämpft mit dem von der Schlange verkörperten Bösen. Am Ende der 40 Tage, also Ostern, steigt wieder ein Mönch zur Versorgung zu ihm empor.

Im östlichen Mittelmeerraum fand Symeon für seine extrem entbehrungsreiche Lebensweise noch mehrere Nachfolger. Doch nur ein einziger Asket hat den Versuch unternommen, in den eisigen Wintern nördlich der Alpen auf einer Säule zu stehen. Dessen Leiden und Scheitern stellt der Blog „Wulfilaich friert“ vor (https://blog.afm-oerlinghausen.de/wulfilaich-friert.html).

 

Im Text genannte antike Quellen

Antonius, Leben des hl. Symeon: R. Doran (Übers.), The Life and Daily Mode of Living of the Blessed Simeon the Stylite by Antonius. In: R. Doran (Übers.), The Lives of Symeon Stylites. Cistercian Studies 112 (Kalamazoo 1992).

Evagrius Scholasticus, Kirchengeschichte I: A. Hübner (Übers.), Evagrius Scholasticus, Kirchengeschichte. Fontes Christiani 57/1 (Turnhout 2007).

Syrische Lebensbeschreibung: H. Hilgenfeld (Übers.), Simeon bar Apollon und Bar Chatar, Syrische Lebensbeschreibung des hl. Symeon. In: H. Lietzmann, Das Leben des heiligen Symeon Stylites (Leipzig 1908).

Theodoret, Mönchsgeschichte: K. Gutberlet (Übers.), Des Bischofs Theodoret von Cyrus Mönchsgeschichte. Bibliothek der Kirchenväter II 50 (München 1926).

 

Literaturauswahl

V. Elbern, Eine frühbyzantinische Reliefdarstellung des älteren Symeon Stylites. Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 80, 1965, 280-304.

N. Patterson Ševčenko, Plaque with St. Symeon Stylites (the Elder?). In: K. Waitzmann (Hrsg.), Age of Spirituality (Katalog New York 1979) 589 f.

 

 

Bildquelle Abb. 1 – 5 Wikipedia. Bildquelle/Bildrechte Abb. 6 ©Louvre 1970, Maurice und Pierre Chuzeville.

 

Bildrechte und Bildautoren Abb. 1 – 5. Abb. 1 Autor Bo-deh~commonswiki; Abb. 2 Autor Sailko; Abb. 3 Autor Autor Marie-Lan Nguyen/jastrow; Abb. 4 Autor Haubi; Abb. 5 Autor Tangopaso.

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