Zwei neue Bilder zur Jugendherberge

Eine Jugendherberge in Spuckweite ist der Traum für jede Freizeiteinrichtung. Dieses Glück hatte unser Museum während einundsechzig Jahren seines Bestehens. Bis wir im Spätherbst 2012 - für uns völlig überraschend - aus der Presse erfuhren, dass die Jugendherberge in kürzester Zeit schließen wird. Das war angesichts der langjährigen fruchtbaren Zusammenarbeit ein trauriges Ende.

Heute wurden zwei Glasplatten unseres Museumsgründers Hermann Diekmann digitalisiert, die einen neuen Blick auf den Anfang der Jugendherberge in der Weimarer Zeit werfen. Sie stammen aus einem Dachbodenfund aus Billinghausen. Datieren lassen sie sich aufgrund der mitgefundenen Platten auf die Zeit zwischen 1931 und 1932. Die Fassadenverzierung des Neubaus lehnte sich an den so genannten Heimatstil an. Sie verband traditionelle und moderne Elemente. Die weit geöffneten Fenster auf dem Bild sollen den anzuwerbenden Gruppen den Eindruck von guter Luft und Sauberkeit vermitteln. Innen heizte man mit einem Hinterlader-Holzofen.
Der erste Impuls zur Jugendherberge stammt aus dem Jahr 1922. Damals hatte man das Dachgeschoss der Volksschule zu einer sehr einfachen Bleibe für Jugendliche hergerichtet. Bereits im ersten Betriebsjahr wurden über 2000 Übernachtungen gezählt. Und das, obwohl mitten in der Inflation und kurz vor der Hyperinflation eröffnet worden war. In Oelinghausen wollte man aber mehr – und das nicht nur, weil die neue Massenunterkunft auch den Brandschutzrichtlinien nicht entsprach. Ein Unterstützerverein, unter dem Vorsitz des Lehrers Wilhelm Holzkamp, wurde gegründet. Mit Erfolg: Am 9. Juni 1929 konnte feierlich der Betrieb des modernen Großbaus aufgenommen werden. Die Kommune stellte das Baugrundstück und das Deutsche Jugendherbergswerk übernahm die Trägerschaft. Trotz der Weltwirtschaftskrise gingen die Übernachtungszahlen kontinuierlich nach Oben, ein Trend, der sich nach Ende der Krise noch verstärkte.
Mit dem 1936 gegründeten „Germanengehöft“ wurde während der NS-Zeit erstaunlicherweise kaum zusammengearbeitet. Im Besucherbuch des Germanengehöfts findet sich kein einziger Eintrag einer Jugendherbergsgruppe, auch die allgemein wirtschaftlichen Akten sprechen nicht für eine intensive Kooperation. Ein gutes Beispiel für diese eigentümliche gegenseitige Nichtbeachtung sind die Auswahlseminare für die so genannten Adolf-Hitler-Schulen. Hierzu war die Jugendherberge Standort für den Gau Westfalen-Nord. Adolf-Hitler-Schulen entstanden ab 1937 als eine Art Vorstufe für die nationalsozialistischen Ordensburgen und zur Ausbildung der Verwaltungskader. Insgesamt besuchten bis 1945 reichsweit nur 2027 Schüler (Schülerinnen gab es nicht) eine solche Anstalt, also eine verschwindend kleine Auswahl. Denn jeder Gau – und demnach auch der Gau Westfalen-Nord – durfte jährlich nur 30 Jungs im Alter von 12-13 zu einer Adolf-Hitler-Schule entsenden. Um festzuhalten, wie diese Ausleseverfahren in der Jugendherberge konkret abgelaufen sind, habe ich im Oktober 2013 zwei längere Interviews mit ehemaligen Teilnehmern geführt. Bei allen Fallstricken von Oral History zeichnet sich folgender Ablauf ab: Man reiste mit dem Zug bis zum Bahnhof Asemissen auf das viertägige Auswahlseminar an. Dann ging es per Fußmarsch weiter bis zur Jugendherberge. Dort wurde man vom Herbergsvater in Uniform empfangen, der auch der politische Leiter des Verfahrens war. Das Programm bestand hauptsächlich aus Sport mit Medizinball, Boxen und zahlreichen militärischen Geländespielen am Tönsberg. Der soldatische Drill wurde stärker als im Schulalltag empfunden, politische Inhalte dominierten die nicht bewegungsorientierten Stunden. Am Ende wurden fünf Noten vergeben, vor allem für Sport. Überproportional stark waren Teilnehmer aus den katholischen Regionen Westfalens vertreten. Denn die Absolventen der Adolf-Hitler-Schulen sollten die Partei stärken, insbesondere da, wo die NSDAP-Strukturen nicht so fest waren (und das waren häufig katholische Regionen).

Das stand im deutlichen Gegensatz zur Napola, dort war eher ein Studium als Ziel erwünscht. Ausdruck dieser Ertüchtigung regional unterentwickelter Parteistrukturen war auch, dass die Ausbilder aus Paderborn stammten. Welche Fünftklässler nach Oerlinghausen kommen sollten, hätten nach dem Konzept der Adolf-Hitler-Schulen die HJ-Führer und die Hoheitsträger der NSDAP bestimmen müssen. Diese überließen im Paderborner Land die Entscheidung zur Auswahl jedoch den Schulleitern, ein weiteres Zeichen für die regional unterschiedlichen Verhältnisse. Ein Besuch des Germanengehöfts war im kompletten Programm nicht vorgesehen. Und dies, obwohl sich die Jungen es ausdrücklich wünschten, obwohl die Inhalte gut in das stark ideologisierte Programm gepasst hätten und obwohl das Germanengehöft sich wie keine andere Freilichtanlage im Reich auf Jugendarbeit spezialisiert hatte.
Erst nach dem Neustart des Museums 1961 kam die Zusammenarbeit mit der Jugendherberge so richtig in die Gänge. Die Übernachtungszahlen der Jugendherberge steigerten sich nach 1945 noch einmal deutlich gegenüber der NS-Zeit. Über die ersten dreißig Jahre hinweg bekamen die Jugendherbergsgruppen meist schlicht eine Führung, mehr wurde ja auch andernorts nicht geboten. Später kamen gemeinsame Programme dazu. Innerhalb des Deutschen Jugendherbergswerks war das recht neu, die Ideen fanden im Lauf der Zeit deutschlandweit Nachahmung. Wochenend-Workshops für Familien und vieles mehr gingen auf das sich verändernde Freizeitverhalten ein. 2009 übernahmen wir aufgrund eines personellen Notstands bei der Herbergsleitung für eine Saison weitgehend die Buchungen. Dabei konnten neue Ideen wie Pauschalbuchungen eingebracht werden. Das Ergebnis in diesem Jahr mit einer beinahe vierzigprozentigen Steigerung der Übernachtungszahlen war ein deutliches Argument für die Attraktivität des Standortes. Dennoch führten der lange bekannte Instandsetzungsstau im Gebäude und das nahezu militante Desinteresse der damaligen Lokalpolitik am Thema zum unangekündigten Ende. Heute ist die Jugendherberge abgerissen, an der Stelle entstehen Ferienwohnungen mit atemberaubenden Fernblick. Das ist vielleicht angesichts des durch Corona veränderten Freizeitverhaltens nicht die dümmste Entwicklung. Dem Neuanfang am Tönsberg wünschen wir jedenfalls von Herzen alles Gute, wenn er uns auch nicht die Großgruppen zurückbringt.

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