Völkische Verfälschungen – Von den „Ur-Germanen“ zum „Dritten Reich“

Der Nationalsozialismus ist eine politische Ideologie, die sich zum großen Teil aus der völkischen Bewegung des 19. Jahrhunderts entwickelt hat. Trotz einiger teils beachtlicher Unterschiede der keinesfalls homogenen Gruppierungen vor und nach dem Ersten Weltkrieg waren ihnen doch ein paar wesentliche Komponente gemein: Neben einer sozialdarwinistischen Sicht auf das Leben („Kampf ums Dasein") teilten die Völkischen die Vorstellung, Lebensraum für das eigene Volk erkämpfen zu müssen und begründeten dies zudem mit einem rassistischen, antisemitischen Gedankengut, welches das deutsche, „germanische" Volk über andere Völker stellte, welche damit gleichfalls abgewertet wurden – allen voran „die" Juden.

In das Bild eines rassisch-kulturell über allen anderen Völkern stehenden Germanen passte der historische Forschungsstand „Ex oriente lux" nicht hinein, laut dem die ersten Hochkulturen im Nahen Osten entstanden waren und den kulturell primitiven Europäern das „Licht" der Zivilisation brachten. Völkische Geschichtsbilder verklärten sich in ein übersteigertes, teils esoterisches Gegenteil: Die Germanen oder „Arier", stets als einheitliches Volk betrachtet, hätten nach einer völkischen Erzählung vor Jahrtausenden in Atlantis (auch Atland oder Thule) die erste Hochkultur der Menschheit geschaffen und nach Untergang in den Rest der Welt getragen. An diese Vorstellungen haben viele Menschen wirklich geglaubt und die gerade erst entstandene und sich nur langsam institutionalisierende Archäologie, die vor allem von Laienforschern betrieben wurde, galt als eine Wissenschaft, die sich bestens dazu eignete, diese Theorien zu belegen.

Es wundert darum nicht, dass sich im Kreise von Laienforschern und Archäologen viele Anhänger solcher völkischer Phantastereien fanden, deren archäologische Irrtümer teils mehr, teils weniger ernst genommen wurden. Gustaf Kossinna, einer der ersten deutschen Archäologieprofessoren, betitelte sein Fach als „hervorragend nationale Wissenschaft" und legte damit die politische Zweckgebundenheit offen, die er darin sah. Seine „siedlungsarchäologische Methode" fußte auf dem Irrglauben, man könne archäologische Provinzen und ethnische Gruppen prinzipiell gleichsetzen. Auf diese Weise glaubte er, „ein" homogenes Volk von Germanen bis hin in die Bronzezeit zurück zu verfolgen und legte weitere Grundlagen zur Wegbereitung nationalsozialistischer Ideologie. Andere Forscher sahen in den Externsteinen ein germanisches Heiligtum, in Megalithengräbern die Fundamente gigantischer Holzhallen, oder saßen Fälschungen auf, die eine urgermanische Zivilisation zu belegen schienen.

Unter den Nationalsozialisten professionalisierte sich die Archäologie erheblich und wandelte sich auch in der öffentlichen Wahrnehmung von einer Schatzsuche zur Wissenschaft. Allerdings wurden ihre Forschungsergebnisse durch das Regime instrumentalisiert und wo immer es ging im Sinne ihrer völkischen Prägung ausgelegt und propagiert. Initiative bei Ausgrabungen ergriffen hier die konkurrierenden NS-Institutionen SS-Ahnenerbe unter Heinrich Himmler sowie das Amt Rosenberg unter Alfred Rosenberg. Es nutzte dem Regime, das nationalsozialistische Gesellschaftssystem und expansive Herrschaftsansprüche auch historisch zu legitimieren. So interpretierte man archäologische Funde so, dass sie deutliche Parallelen zum „Dritten Reich" aufwiesen: Führertum, Körperbilder, Geschlechterrollen, soldatenhafte Waffengewalt, Rassismus – derlei Aspekte des „Dritten Reichs" projizierte man auf frühere Epochen und konstruierte eine Kontinuität vom Nationalsozialismus zurück bis hin in die jüngere Steinzeit. Das erzeugte das Gefühl einer unbestreitbaren Gesetzmäßigkeit, die den Nationalsozialismus als urdeutsches und „richtiges" System stilisierte. Je älter desto sicherer. In den Schulen, in Schulungsseminaren, im Kino, in den Museen, auf Festen – wo immer es ging, dienten auch archäologische Geschichtsverfälschungen der Propaganda: Die Deutschen wären seit jeher die Kulturbringer schlechthin mit der naturgegebenen Berechtigung über andere Völker zu herrschen. Dazu nutzte man oft Repliken archäologischer Funde, die – und das war das Gefährliche daran – durchaus auf wissenschaftlich fundierten Ergebnissen basierten, und zwar weitaus mehr als noch zu Weimarer Zeiten, aber im Darstellungskontext zugunsten nationalsozialistischer Sichtweisen verzerrt wurden. Und viele Motive dieser völkischen Propaganda haben sich bis heute hin in öffentlichen Geschichtsbildern halten können!

Um aber nicht nur in medial aufbereiteten historischen Darstellungen eine nationalsozialistische Geschichtsdeutung an die Öffentlichkeit zu bringen, legte man auch großen Wert darauf, bei aktuellen Ausgrabungen möglichst brauchbare Ergebnisse zu erhalten. So überrascht es nicht, dass man nach den Gebeinen von ideologisch als Vorbilder passenden Herrschern wie Herzog Heinrich dem Löwen und König Heinrich I. dem Vogler suchte und die erstbesten Gräber ungeprüft für die der Gesuchten erklärte, um diese dann öffentlichkeitswirksam in quasi-religiöser Manier verehren zu können.

Doch in einer Zeit einer ausufernden Germanophilie und der Vorliebe für alles, was alt und vermeidlich „germanisch" war, da witterten auch anders motivierte Fälscher eine Chance. Diese erlagen keinesfalls selbst den Irrtümern völkischer Phantastereien und hatten auch kein Interesse daran, Fakten aus propagandistischen Gründen zu ver-fälschen, damit sie den eigenen Vorstellungen entsprachen. Bei diesen „echten" Fälschungen ging es darum, Kapital aus dem so sehr gesteigerten Interesse an archäologischen Funden zu schlagen. So gelangte zum Beispiel eine gefälschte gotische Krone auf den Kunstmarkt, die Hitler zum 50. Geburtstag geschenkt worden sein soll. Besondere Bekanntheit erlangte der „Fall Marwitz": Ein Kunsthändler, der sich für einen Adeligen ausgab, ließ dutzende Goldschmuckstücke aus der Völkerwanderungszeit fälschen, ließ sie teilweise mit angeklebter Patina alt aussehen und legte Kunsthistoriker, Archäologen und Museen damit herein. Unbekannt ist, wie viele solcher Fälschungen auch heute noch auf dem Kunstmarkt im Umlauf sind.

Alles in allem kann man in der Zeit des Nationalsozialismus von drei Kategorien archäologischer Irrtümer und Fälschungen sprechen:

  • 1.Völkische Phantastereien: Irrtümer, denen Völkische selbst erlagen.
  • 2.Zerrbilder der NS-Propaganda: Geschichtsverfälschungen, die auf Irrtümern fußen, mithilfe derer aber gezielt ein ideologiekonformes Geschichtsbild vermittelt wurde.
  • 3.„Echte" Fälschungen: Mutwillige Vortäuschung der Echtheit archäologischer Funde.

Im Folgenden wird eine kleine Auswahl an Objekten vorgestellt, die als repräsentativ für die Thematik angesehen werden können.

Marcus Coesfeld 

1. Völkische Phantastereien (Irrtümer) 

Buchcover von Gustaf Kossinna: Die deutsche Vorgeschichte. Eine hervorragend nationale Wissenschaft, 1936. Hinweis: Der völkisch gesinnte Kossinna baute als einer der ersten deutschen Professoren für Archäologie das Fundament für die nationalsozialistische Interpretation deutscher Vorgeschichte. Mit seiner im Grunde wenig stichhaltigen „siedlungsarchäologischen Methode“ machte er es möglich, Gebietsansprüche des "Dritten Reiches" historisch zu legitimieren. Der Titel seines Buches „Eine hervorragend nationale Wissenschaft“ macht deutlich, dass er die Archäologie als Instrument für politisch-nationale Zwecke verstand; das Bild des Lure-spielenden Germanen von Wilhelm Petersen unterstreicht dies.

Die Ura-Linda-Chronik, herausgegeben von Herman Wirth (Bild: images.tresoar.nl/bibl-collectie/boeken/oeralinda/groot/pag48.jpg, letzter Zugriff: 12.10.2018). Hinweis: Fälschung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts; stellt bis ins untergegangene Atlantis zurückreichende „ur-germanische“, friesische Familienchronik dar, die Wirth für echt hielt. Wirths Interpretation der Ura-Linda-Chronik als echt stellt eine Grundlage völkischer Interpretation archäologischer Funde dar.

Buchcover von Wilhelm Teudt: „Germanische Heiligtümer. Beiträge zur Aufdeckung der Vorgeschichte, ausgehend von den Externsteinen, den Lippequellen und der Teutoburg“, 1931. Hinweis: Teudt erklärt die Externsteine zum zentralen Heiligtum der Sachsen und Standort der Irminsul und geht von einer germanischen Hochkultur noch vor den Römern aus. Um diese Thesen zu belegen, wurde 1934 und 1935 an den Externsteinen gegraben. Ergebnisse gab es keine zufriedenstellenden, weshalb Grabungsleiter Julius Andree diese sehr frei interpretierte. Noch heute werden die Externsteine als Standort der Irminsul von Neonazis gefeiert. Zuletzt wurde Silvester 2016/2017 eine Irminsul-Säule in schwarz-weiß-roten Farben dort befestigt.

Hermann Wille: Germanische Gotteshäuser zwischen Weser und Ems, Leipzig 1933. Hinweis: Wille hat die Oldenburger Großsteingräber untersucht und interpretiert sie als Fundamente von riesigen Hallenbauten. Zudem stellt er die Behauptung auf, dass die jungsteinzeitliche „germanische“ Langhausarchitektur die Grundlage für griechische Tempel- und gotische Kirchbauten war.

2. Zerrbilder in der NS-Propaganda (Verfälschungen) 

Poster "Vom nordischen Steinzeithaus zum griechischen Tempel". Beilage aus: "Der Schulungsbrief", 2. Jg., 3. Flg./1935. Hinweis: Auf Herman Willes Thesen fußende NS-Propaganda, die die griechische Hochkultur auf eine ältere, germanische zurückführt: Der griechische Tempel müsse aufgrund seines rechteckigen Grundrisses auf steinzeitlich-„germanische“ Architektur zurückgehen, da „ostische“ Hütten rundlich seien.

 

Film „Germanen gegen Pharaonen". Hinweis: Propagandafilm zur Widerlegung der „ex oriente lux"-Theorie. Stellt der altägyptischen Hochkultur die „Kulturhöhe" der Germanen entgegen, erklärt Stonehenge zur germanischen Kulturbaute und behauptet, dass die Kultur Ägyptens durch die überlegenen Germanen gekommen sein müsse. 

Schulwandbild „Vorfahren der Germanen. Jüngere Steinzeit (3. Jahrtausend vor Christo“), 1935/1936. Beck/Timm: Die „germanische“ Ur- und Frühgeschichte in Schulunterricht und Alltag während der NS-Zeit, in: Mythos Germanien, S. 13. Hinweis: Die Kleidung der dargestellten „Germanen“ aus der „Steinzeit“ ist rein spekulativ; die Darstellung der einheitlich gekleideten, bewaffneten und typisierten Männer und der züchtig gekleideten Frau entspricht dem NS-Verständnis von Geschlechterrollen. Von „Germanen“ kann zudem erst zu römischer Zeit gesprochen werden, hier jedoch wird ein (!) Volk konstruiert, das bis in die Steinzeit zurückgeht.

Schulwandbild „Lurenbläser der jüngeren Bronzezeit (um 1000 vor d. Zr.)“, 1936. Beck/Timm: Die „germanische“ Ur- und Frühgeschichte in Schulunterricht und Alltag während der NS-Zeit, in: Mythos Germanien, S. 27. Hinweis: Uniformierte Typisierung eines blonden, blauäugigen, kräftigen „Germanen“ der Bronzezeit zur Legitimierung und Historisierung der NS-Menschenbilder. Darstellung der Lure als „urgermanisches“ Musikinstrument und Beweis der frühen Kulturhöhe.

Schulwandbild „Wikinger auf Binnenfahrt im Odertal“, 1937. Beck/Timm: Das nationalsozialistische Germanenbild auf Schulwandbildern der NS-Zeit, in: Mythos Germanien, S. 57. Hinweis: Links ist ein Jude angedeutet (dunkel, buckelig, mit Geldbeutel in der Hand, der zwei slawische Sklavenkinder hält). Das Bild soll zeigen, dass die „rassisch höher stehenden“ nordischen Wikinger nun die slawische Bevölkerung beherrschen werden, die sich nach ihrer kraftvollen, schützenden Herrschaft sehnen, und dass die Juden nun aufhören werden, ihre Kinder als Sklaven zu verkaufen. Dieses Bild soll natürlich die gegenwärtige Rassen- und geplante Expansionspolitik des „Dritten Reichs“ legitimieren.

Das Germanengehöft in Oerlinghausen 1936.

 Auch das AFM Oerlinghausen hätte sich an der Ausstellung beteiligt, etwa mit einer Kurzdokumentation mit historischen Fotos aus eigenem Bestand, einem Interview mit Karl Banghard und Gegenwartsbezügen zu verfälschten Germanenbildern in der neonazistischen Szene

Replikat einer Bronzelure aus dem RuhrMuseum Essen, Foto: Die Körper der SS, S. 75). Hinweis: Luren als vermeintlich germanisches Musikinstrument und Beweis frühgermanischer Kulturhöhe. Das Original dieser Replik stammt von der dänischen Insel Seeland. Lurenrepliken wurden bei feierlichen Anlässen regelmäßig eingesetzt und bei Germanendarstellungen überproportional zu den gemachten Funden hinzugezogen. Jörg Lechter behauptet in „5000 Jahre Deutschland" (1935), sie seien in Lurengießerwerkstätten massenhaft produziert worden, während die Forschung feststellt, dass die Luren, derer bis heute etwa 60 gefunden worden sind, eher selten waren und kultischen Zwecken dienten.

Nachbildung des Sonnenwagens von Trundholm aus dem Braunschweigischem Landesmuseum (Foto: Graben für Germanien, S. 96). Hinweis: Erklärung des in Dänemark gemachten Fundes zum germanischen Wagen. Man schloss von dem kleinen Fund darauf, dass es sich dabei nur um das Modell eines lebensgroßen Wagens handeln musste, welches rein spekulativ ebenfalls „nachgebaut“ wurde.

Replik des Bremer Bandspangenhelms im Landesmuseum Hannover (Foto: Graben für Germanien, S. 108). Hinweis: In der Wewelsburg wurden für die ranghöchsten SS-Offiziere weltanschauliche Schulungen veranstaltet, für die auch archäologische Originalfunde und Repliken genutzt wurden. In diesem Rahmen wurde auch die Hannoveraner Replik des Bremer Bandspangenhelms (Original im Focke-Museum) ausgeliehen. Der hochmittelalterliche Helm wurde den Teilnehmern hier aber als germanisch vorgestellt.

SS Julleuchter (Foto: Graben für Germanien, S. 114). Hinweise: Himmler ließ diese Julleuchter für SS-Mitglieder herstellen. Sie sollten rituellen Praktiken beim Julfest dienen, das das Weihnachtsfest ablösen sollte. Verziert ist es mit angeblich germanischen Symbolen. Vorbild ist der Nachbau Herman Wirths eines schwedischen Leuchters aus dem 16. Jhd., den Wirth als „urgermanische“ Tradition interpretiert.

Bodenvase mit Hakenkreuzen (Foto: www.ns-kunst.com/porzellan-allach/allach-grosse-vase-mit-altgermanischen-motiven-301). Zur ästhetischen Erziehung zum nationalsozialistischen Menschen. Generell haben die Nazis auffallend häufig Hakenkreuze in Rekonstruktionen vorgeschichtlicher archäologischer Funde eingebaut, wo Interpretationsspielraum offen war. Ziel war, das Hakenkreuz als urdeutsches Symbol zu historisieren. Diese Vase ist ab 1939 von dem SS-Unternehmen Allach hergestellt worden – vor allem durch Häftlinge im KZ Dachau.

3. "Echte" Fälschungen

Schaufassung der angeblichen Haarlocken Heinrichs des Löwen und seiner Gattin Mathilde (Foto: Die Körper der SS, S. 113). Hinweis: Heinrich der Löwe galt den NS-Ideologen als Begründer der deutschen Ost-Kolonisation. 1935 wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit nach den Gebeinen Heinrichs gegraben und der Dom bis 1940 grundlegend umgestaltet, um sie zu einer „nationalen Weihestätte“ zu machen. Die entdeckten Gebeine erklärte man rein spekulativ für Heinrich und seine Frau Mathilde, obwohl die vermeidlichen Gebeine Heinrichs sehr klein waren und eine Oberschenkelverletzung aufwies. Diese wurde auf einen historisch überlieferten Reitunfall zurückgeführt, obwohl schon zur NS-Zeit Zweifel geäußert wurden. Möglicherweise sind die Gebeine des als Heinrich angesprochenen Bestatteten in Wahrheit die wahren Gebeine Mathildes. In den von Berthold angefertigten Schaufassungen wurden Locken, die man den Gebeinen entnahm, zu Reliquien gefertigt und zum einen im Dom präsentiert, zum anderen hohen Parteifunktionären als Geschenke überreicht.

Zeitungsartikel „SS feiert in Quedlinburg“ [Das Schwarze Korps, Jg. 2, Flg. 28 (9. Juli 1936), S. 3]. Hinweis: Himmler und die SS wollten anlässlich des 1000. Todesjahrs König Heinrichs I. 1936 eine Gedenkfeier in der Quedlinburger Stiftkirche abhalten. Heinrichs Leichnam war jedoch verschollen. Nach einer Grabung durch das SS-Ahnenerbe wurden im nächsten Jahr Gebeine gefunden, die kurzerhand als Heinrich deklariert und in der Krypta beigesetzt wurden. Obwohl die Funde nicht veröffentlicht wurden und Kritik an der Interpretation geäußert wurde, hielt die SS fortan jährlich eine Gedenkfeier vor dem Grab ab und Himmler soll „Zwiesprache“ mit dem König gehalten haben, für dessen Reinkarnation er sich selbst hielt. 1948 wurden die Knochen wieder zur ursprünglichen Bestattung zurückgelegt; der Sarkophag ist seither wieder leer. Der zeitgenössische Zeitungsartikel dokumentiert die Heinrichsfeier von 1936. Das zusätzliche Foto zeigt Himmler vor dem gefällten Grab 1938.

Foto: Gefälschte "Gotenkrone" (Claus/Hauer 2010, S. 209).
Hinweis: Fälschung, die der Verband der Deutschen Vereine im Ausland Adolf Hitler zum 50. Geburtstag 1939 überreicht hat. Wurde zum Gegenstand umfangreicher Ermittlungen der Kriminalpolizei. Der Verbleib der Krone ist ungeklärt. Diademe wurden im späten 4. und frühen 5. Jhd. tatsächlich immer wieder zwischen Ungarn und den zentralasiatischen Steppen gefunden. Sie gehörten jedoch zur Frauenkleidung und sehen deutlich anders aus. 

„Fall Marwitz" 

Herbert Marwitz (*11. August 1884 in Calprino (Schweiz); † 1952 in den USA).

Kunsthändler mit Spezialgebiet in altgermanischer Kunst. Ließ archäologische Funde bzw. Goldschätze aus der Völkerwanderungszeit fälschen und brachte sie auf den Kunstmarkt. Dabei ging er in hohem Maße strategisch vor. Zeugen berichten, dass er sich sehr charismatisch präsentierte und einen gefälschten Adelstitel führte (v. d. Marwitz). Den Goldschmied, den er für seine Fälschungen beauftragte, soll er im Glauben gelassen haben, lediglich Imitate zu schaffen. Die Adlerfibel von Königsberg zeigte er dem Spezialisten Dr. van Scheltema, für den es eine Ehre war, über das bislang unbekannte Stück als Erster zu publizieren. Sein Aufsatz in der Zeitschrift „Germanenerbe" diente Marwitz aber nur als Referenz, um das Stück dem Germanischen Nationalmuseum anzubieten. Und auch für die nachfolgenden Untersuchungen hatte er vorgesorgt, indem er unter dem Edelstein ein Kreuz einstanzte, welches erst bei einer Untersuchung sichtbar wurde. Welcher Fälscher würde auf so eine Idee kommen, dachte man sich, und ließ Zweifel fallen. Letztlich wurden die Fälschung und einige andere auch trotzdem entlarvt. Die 5 Jahre Zuchthaus, zu denen er verurteilt wurde, waren ihm aber möglicherweise sogar willkommen, da er dadurch nicht in den Krieg musste. Nach dem Krieg konnte er die meisten seiner Fälschungen zurückbekommen. In den USA blieb er jedoch erfolglos und beging 1952 Suizid.

Dieser Goldkessel ist 2001 als Sensation aus dem Chimsee geborgen worden. Es ranken sich Spekulationen über dessen Herkunft. Ist er eine NS-Reliquie, die im Zusammenhang mit der SS und den kultischen Plänen Himmlers mit der Wewelsburg stand? Man kann es nicht sagen, weil der Fund nach der Bergung in einen Kriminalfall verstrickt worden ist und er sich heute in Privatbesitz befindet, sodass er nicht weiter untersucht werden kann. Unsere Recherchen haben uns keine Antwort gebracht.

 

Marcus Coesfeld
 

Literaturverzeichnis:

Kataloge (verschiedene Aufsätze verwendet):

Die Körper der SS – Ideologie, Propaganda und Gewalt, hrsg. v. Erik Beck, Kirsten John-Stucke, Markus Moors u. Jörg Piron, Paderborn 2016.

Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz. Hrsg. v. Focke-Museum, Stuttgart 2013.

Mythos. 2000 Jahre Varusschlacht, hrsg. v. Landesverband Lippe, Stuttgart 2009.

Mythos Germanien. Das nationalsozialistische Germanenbild in Schulunterricht und Alltag der NS-Zeit. Hrsg. v. Erik Beck u. Arne Timm, Dortmund 2015.

Propaganda. Macht. Geschichte. Archäologie an Rhein und Mosel im Dienst des Nationalsozialismus. Hrsg. v. Hans-Peter Kuhnen, Trier 2002.

Weitere Literatur:

Bollmus, Reinhard: Prähistorische Archäologie und Nationalsozialismus, in: AiD 2/2001, S. 4-6.

Christiansen, Uwe; Petersen, Hans-Christian: Wilhelm Petersen – der Maler des Nordens, Tübingen 2008.

Claus, Thomas; Hauer, Thomas: Der Goldkessel aus dem Chimsee – Ein archäologischer Kriminalfall, in: Ickerodt/Mahler (Hg.): Archäologie und völkisches Gedankengut: Zum Umgang mit dem eigenen Erbe. Ein Beitrag zur Selbstreflexiven Archäologie, Frankfurt am Main 2010, S. 173-210.

Der Spiegel 19/1968, S. 161-163.

Fuhrmeister, Christian: Völkische Memorialarchitektur im Nationalsozialismus. Hermann Willes „Germanische Gotteshäuser" (1933) und das Hans-Mallon-Denkmal auf Rügen (1937), in: Ickerodt/Mahler (Hg.): Archäologie und völkisches Gedankengut: Zum Umgang mit dem eigenen Erbe. Ein Beitrag zur Selbstreflexiven Archäologie, Frankfurt am Main 2010, S. 115-130.

Halle, Uta: 936 Begräbnis Heinrichs I. - 1936 die archäologische Suche nach den Gebeinen in Quedlinburg und die NS-Propaganda, in: Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit Bd. 16 (2005) S. 15-21.

Halle, Uta: „Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch!". Prähistorische Archäologie im Dritten Reich, Bielefeld 2002.

Halle, Uta: „Kulturwerte unter Sand" – Die Ausgrabungen 1936–1939 in Bremen-Mahndorf, in: Archäologie und Politik. Archäologische Ausgrabungen der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts im zeitgeschichtlichen Kontext, Wiesbaden 2011, S. 181-192.

Halle, Uta: Die Externsteine – Symbol germanophiler Interpretation, in: Achim Leube (Hg.): Prähistorie und Nationalsozialismus. Die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933-1945, Heidelberg 2002, S.235-253.

Halle, Uta: Im Schatten der germanischen Heiligtümer. Das Lippische Landesmuseum Detmold im „Dritten Reich", in: Tanja Baensch, Kristina Kratz-Kessemeier u. Dorothee Wimmer (Hg.): Museen im Nationalsozialismus. Akteure – Orte – Politik, Köln/Weimar/Wien 2016, S. 307-322.

Handreichung des Kreismuseums Wewelsburg. Archiviert vom Original am 27. September 2007 unter https://web.archive.org/web/20070927231020/http://www.ns-gedenkstaetten.de/nrw/de/wewelsburg/thema_5/downloadtexte/jultext.rtf , abgerufen am 26.02.2017.

Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt, Christian Mühldorfer-Vogt (Hrsg.): Geschichte und Propaganda. Die Ottonen im Schatten des Nationalsozialismus. Halle (Saale) 2008.

Heske, Immo: „Inszeniertes Germanentum" – Das archäologische Museum „Haus der Vorzeit" in Braunschweig von 1937 bis 1944, in: Archäologisches Nachrichtenblatt 10 (2005), S. 482-493.

Kossian, Rainer: Reichsamt für Vorgeschichte versus SS-Ahnenerbe. Die Ausgrabungen des Reichsamtes für Vorgeschichte am Dümmer (Niedersachsen) in den Jahren 1938 bis 1941, in: Archäologie und Politik. Archäologische Ausgrabungen der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts im zeitgeschichtlichen Kontext, Wiesbaden 2011, S. 207-224

Kreckel, Thomas: „Sonnenheiligtum" und „Kultberg". Die Geschichte der Grabungen auf der „Heidenmauer"und im Kriemhildstuhl" bei Bad Dürkheim in den 1930er Jahren, in: Archäologie und Politik. Archäologische Ausgrabungen der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts im zeitgeschichtlichen Kontext, Wiesbaden 2011, S. 271-278.

Leube, Achim: Die deutsche Prähistorie in den Jahren 1933 bis 1945 und ihre historischen Grundlagen, in: Archäologie und Politik. Archäologische Ausgrabungen der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts im zeitgeschichtlichen Kontext, Wiesbaden 2011, S. 25-56.

Mahsarski, Dirk: Ausgrabungen zwischen Schlei und Treene. Jankuhn, die Germanen und das Ahnenerbe, in: Archäologie und Politik. Archäologische Ausgrabungen der 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts im zeitgeschichtlichen Kontext, Wiesbaden 2011, S. 279-308.

Mecking, Angelika: Die Erdenburg bei Bensberg – erste Ausgrabung der Schutzstaffel zwischen archäologischer Fprschung und Nationalsozialismus, in: Archäologie und Bodendenkmalpflege in der Rheinprovinz 1920-1945, hrsg. v. Jürgen Kunow, Thomas Otten u. Jan Bemman, Treis-Karden 2013, S.125-133.

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Möbus, Frank: Mecki und die Rassenlehrer. Der „[un]heimliche Schalk" Wilhelm Petersen als Illustrator deutscher Kinderbücher der Nachkriegszeit, in: Michael Fritsche, Kathrin Schulze (Hrsg.): Sesam öffne dich. Bilder vom Orient in der Kinder- und Jugendliteratur. BIS-Verlag der Carl von Ossietzky Universität, Oldenburg 2006.

Puschner, Uwe: Die Germanenideologie im Kontext der völkischen Weltanschauung, in: Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 4/2001, S. 85-97.

Rieth, Adolf: Vorzeit gefälscht, Tübingen 1967.

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Schöbel, Gunter: Hans Reinerth. Forscher – NS-Funktionär – Museumsleiter , in: Achim Leube (Hg.): Prähistorie und Nationalsozialismus. Die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933-1945, Heidelberg 2002, S. 321-396.

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Schween, Joachim: „Nur Deutsche hatten die Lure" – Zum völkischen und nationalsozialistischen Umgang mit einem bronzezeitlichen Musikinstrument, in: Ickerodt/Mahler (Hg.): Archäologie und völkisches Gedankengut: Zum Umgang mit dem eigenen Erbe. Ein Beitrag zur Selbstreflexiven Archäologie, Frankfurt am Main 2010, S. 155-164.

Sünner, Rüdiger: Schwarze Sonne. Entfesselung und Mißbrauch der Mythen in Nationalsozialismus und rechter Esoterik, Freiburg im Breisgau 2003.

Stern, Tom: Germanen gegen Pharaonen. Zur Archäologie Ägyptens im Kulturfilm des ‚Dritten Reichs', in: Kurt Denzer (Hg.): Funde, Filme, falsche Freunde. Der Archäologiefilm im Dienst von Propaganda, Kiel 2003, S. 96-121.

Steuer, Heiko: Herbert Jankuhn und seine Darstellungen zur Germanen- und Wikingerzeit, in: Ders. (Hg.): Eine hervorragend nationale Wissenschaft. Deutsche Prähistoriker zwischen 1900 und 1995, Berlin/New York 2001, S. 417-473.

Strohmeyer, Arn: Die Idee Atlantis und Väterkunde, in: Hans Tallasch (Hg.): Projekt Böttcherstraße, Delmenhorst 2002, S. 327-340.

Kommentare

Wow super Artikel habe ich meinen Enkeln vorgeschlagen.

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