Über das Wetter reden

Stürmische Zeiten

16.02.2020: Eine Woche nach „Sabine“ sorgt das Sturmtief „Victoria“ erneut für heftigen Wind. Sturmtief „Sabine“ versetzte die Bundesrepublik am 17.02.2020 in Alarmbereitschaft. Schulen bleiben geschlossen, Fahrgäste stranden, Straßen sind blockiert. Zum Glück ist, soweit absehbar, nichts Dramatischeres passiert als Sachschäden und Ungemach. „Sabine“ kam nach einem Winter ohne Schnee, in dem es kaum einmal fror. Das Jahr davor, 2019, war für Europa das heißeste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Und 2019 war das Jahr der Klimadebatte, Greta Thunberg fehlte in keinem Jahresrückblick. Einer einzelnen Teenagerin war gelungen, was zahlreichen Fachleuten seit Jahrzehnten misslang: Eine breite Öffentlichkeit macht sich gründlich Sorgen um das Klima. Allein in Deutschland demonstrieren Hunderttausende für Bäume, Lösungen, Umkehr, Einsicht. Weltweit gehen Millionen auf die Straße. Alle Medien schlagen Einsparungen im privaten Bereich vor, überall werden persönliche Lösungen gesucht, „Klimaneutral“ wird zum neuesten Werbehit. Vielleicht am erstaunlichsten: All jene Wissenschaftler*innen, die seit Jahren kaum gehört werden mit ihren Befürchtungen, sind keineswegs konsterniert, dass eine Horde Kinder ihnen die Show stiehlt (und Wissenschaftler*innen sind im Allgemeinen sehr empfindlich, wenn es darum geht, dass andere ihr Thema besetzen). Gestandene Forscher*innen solidarisieren sich rasch und auf breiter Basis mit den streikenden Schüler*innen. „Scientists for Future“ ist eine der ersten Co-Bewegungen der Schüler*innenproteste von „Fridays for Future“. Sicherlich, einige Forschende erinnern daran, dass Wissenschaft eigentlich keine Voraussagen machen kann, dass viele Faktoren auf das Klima wirken, dass die Menschheit nur einer davon ist, dass die hochgradig komplexen Wechselwirkungen schwer vorauszusagen sind. Und trotz all dieser Unsicherheiten (die ja allen im wissenschaftlichen Feld mehr als bewusst sind) sieht die überwältigende Mehrheit der Fachleute aus Meteorologie, Geologie, Biologie und anderen Fächern angesichts der alarmierenden Datenlage die dringende Notwendigkeit, die Öffentlichkeit zu warnen. Und diese hört zu.

 

Was hat das mit Archäologie zu tun?

Eine derart tiefgreifende gesellschaftliche Beunruhigung betrifft letztendlich auch die Arbeit in einem kleinen Freilichtmuseum. Das archäologische Freilichtmuseum Oerlinghausen leistet kulturelle Grundversorgung in Ostwestfalen-Lippe. Dazu gehört auch, aktuelle Debatten aufzunehmen. In den sozialen Medien lief der letzte #Archaeoswap zum Thema Klima, mehr und mehr Einzelgäste haben Redebedarf zum Thema und Lehrer*innen und Pädagog*innen kommen mit ihren Klassen zu uns, um Klimageschichte zu behandeln. Eigentlich ist das Gelände des AFM ideal geeignet, die Auswirkungen von Klimawandel auf das Leben menschlicher Gemeinschaften zu thematisieren. Für die Altsteinzeit zeigen wir ein Lederzelt auf niedriger, krautiger Vegetation – so oder so ähnlich sah es hier wohl aus, zum Ende der letzten Eiszeit, vor 14.000 oder 12.000 Jahren. Auch die Mittelsteinzeit wird mit typischer – ganz anderer – Vegetation dargestellt. Und der Übergang zur Sesshaftwerdung ist mit einem Zaun markiert, plötzlich gibt es Teiche, Felder – deutlich wird, wie sehr Menschen durch Änderungen ihrer Lebens- und Wirtschaftsweisen ihre Umwelt formen. Eigentlich sind dies perfekte Bedingungen, um sich mal ein paar grundlegend historische Gedanken zu machen über Menschen und Klima.

 

Was wissen wir? Was denken wir?

Doch die Anlage des Museums spielt uns hier einen Streich. Das (verkleinerte) Lederzelt wirkt absurd schutzlos in seiner Tundrenumgebung, unfassbar hart und entbehrungsreich erscheint uns sowieso alles, was „Eiszeit“ genannt wird. Überdies liegt das AFM am Nordhang, die Stelle mit dem Zelt ist eigentlich immer schattig, die meiste Zeit des Jahres unangenehm kalt und feucht, der Boden je nach Wetter steinig oder rutschig, die Holzabsperrung oft glitschig. Auch sonst ist dies eine schwierige Position: dies ist das erste Exponat, noch müssen sich Vermittler*in und Gruppe in ihre Rollen finden, die Gruppe steht gedrängt am Weg, andere wollen vorbei. Wie wohltuend ist dagegen der Bereich der mittelsteinzeitlichen Hütten: Diese stehen leicht versteckt, es gibt Sitzgelegenheiten, oft scheint die Sonne in den nach Westen ausgerichteten Bereich, das Haselwäldchen vermittelt Schutz und Geborgenheit und wirkt als Wärmefälle. Dort geht es um ein breites Nahrungsangebot, wärmeres Klima und viel Freizeit, die die „Jäger und Gammler“ der Mittelsteinzeit hatten. Und tatsächlich scheint es nachvollziehbar, dass die mobil lebenden Eingeborenen gar nicht so sonderlich interessiert daran waren, zu Beginn der Jungsteinzeit von den neuen Nachbarn zu lernen, wie man rodet, pflügt, sät, jätet, hackt, drischt, mahlt, haltbar macht, bewacht, repariert, schützt – kurz: wie man schuftet. Um 5000 vor 0 mag das Leben im Haselwäldchen überaus angenehm gewesen sein. Doch wie war es gut 4000 Jahre früher, als die Temperaturen zu steigen begannen, das Eis am Nordpol schmolz und in die Nordsee floss? Wie war das, als der gesamte Bereich zwischen England und der europäischen Küste geflutet wurde? Wie viele Menschen dort lebten, kann nur gemutmaßt werden – doch dass auch das Doggerland bewohnt war, steht außer Frage. Die meisten werden sicherlich gestorben sein, ertrunken, verhungert, verdurstet. Einigen gelang jedoch die Flucht. Im Landesinneren, auch im Bereich Lippes, finden sich Steinwerkzeuge, die in direkter Kontinuität zu dem Material stehen, das an den Ufern der Nordsee gelegentlich angespült wird.[1] Wieviele starben auf der Flucht und wieviele verloren ihre Angehörigen? Und wie ging es den Überlebenden im Landesinneren, in einer fremden Umgebung, traumatisiert, heimwehkrank? Was tut man, wenn die Grundlagen des eigenen Lebens, die großen Rentier- und Wildpferdherden, plötzlich nicht mehr kommen? Stell Dir vor, plötzlich stehen da Tiere, die Du nicht kennst, riesig, bedrohlich, zwei Meter hohe Rinder mit riesigen Hörnern. Flucht? Angriff? Aber wie? Wie fanden die Menschen heraus, welche der zahlreichen neuen Pflanzen und Pilze essbar waren? Try and Error?

 

Was gibt es zu sagen?

Letztendlich fanden die Menschen Lösungen. Sie entwickelten neue Waffen, zum Beispiel den Pfeil mit Bogen und die Harpune. Tatsächlich entwickelten sie hierfür eine ganz neue Technologie: Mikrolithik, die Herstellung sehr kleiner Feuersteinsplitter für präzise Waffen und Werkzeuge. Fischfang wurde wichtig (es gab mehr Wasser, da weniger im Eis im Norden gebunden war), ebenso die pflanzliche Ernährung, die deutlich weniger Risiken birgt als die Jagd.

Die Erwärmung der Mittelsteinzeit ist nur ein Beispiel aus der klimatisch sehr abwechslungsreichen Menschheitsgeschichte. Im Jahre 10.966, also eigentlich kurz zuvor, brach im Rheinland der Laacher See Vulkan aus, verursachte Überschwemmungen, verdunkelte auf Monate den Himmel und brachte so einen kurzen, heftigen Kälteeinbruch. Ein einmaliges, extremes Ereignis, das innerhalb von wenigen Jahren vermutlich alles Leben in seinem Wirkungskreis zerstörte. Doch die Wiederbesiedlung gelang, neue Menschen und alte Tiere wanderten ein. 300 Jahre später kühlte das Klima in Nordeuropa ab, verantwortlich waren Ströme von Eiswasser, die von den schmelzenden Polkappen freigesetzt wurden. Flora und Fauna änderte sich. Wieder passten sich Menschen an.  Etwa 30 Generationen später lernten die Nachkommen, wie sie mit höheren Temperaturen überleben können. Sie lernten auf die harte Tour. Dieser Weg zur neuen Lebensweise, diese – maximal – paar hundert Jahre, verschwinden in archäologischer Betrachtung schnell mal.

 

Ausblick

Heute befinden wir uns mitten im nächsten Klimawandel. Historisch Forschende, wie Archäolog*innen, können die Zukunft ebenso wenig voraussagen wie unsere Kolleg*innen aus den Naturwissenschaften. Doch Wissenschaften haben nicht nur den akademischen Auftrag, Daten zu generieren und einigermaßen valide Interpretationen zu liefern. Wir haben auch einen gesellschaftlichen Auftrag. Für die historischen Fächer besteht dieser auch darin, Narrative, also Erzählungen, anzubieten, die den Menschen bei einer Auseinandersetzung mit den Themen der Zeit helfen. Die einfachste Erzählung – „So etwas gab es früher auch schon, und es ging eigentlich ganz gut aus“ ist viel zu kurz gedacht.

Wir (und damit meine ich nicht nur das AFM) sollten die Chance nicht vergeben, ein Narrativ zu entwickeln, das die Befürchtungen der Bevölkerung und die Besorgnis der Kolleg*innen aus den Naturwissenschaften ebenso ernst nimmt wie den Wunsch nach Beruhigung und Handlungsoptionen. „Das gab es schon immer“ ist eigentlich nicht beruhigend. Zu hoch waren die Kosten der Anpassungsleistung, zu schmerzhaft die Verluste. Eine erdgeschichtliche Perspektive relativiert zwar Zeiträume, Relativismus wäre jedoch die falsche Konsequenz. Was uns hingegen beruhigen, viel mehr aber noch beeindrucken kann, ist die enorme Anpassungsleistung, die Menschen in ihrer Geschichte immer wieder leisteten. Offenbar sind wir immens schlau, kreativ, zäh und fähig, wenn es darum geht, zu überleben. Das haben wir in unserer Geschichte immer wieder bewiesen.

Im Unterschied zu allen bisherigen Klimawandeln können wir heute viel früher und klarer vermuten, was passiert. Vielleicht schaffen wir es, unsere immensen Fähigkeiten als Art diesmal nicht nach, sondern vor der Katastrophe zu aktivieren. Auch das lehrt uns die Geschichte: Ob eine Krise zur Katastrophe führt, hängt stark von den Reaktionen der Betroffenen ab.

Greta Civis

 

Zum Weiterlesen:

https://www.derstandard.de/story/2000113063470/2019-war-in-europa-das-heisseste-jahr-seit-beginn-der

https://www.spiegel.de/wissenschaft/europa-2019-war-das-waermste-jahr-a-f3961c6e-b8f2-4811-90b0-5c0dcf0f8d39

https://www.tagesschau.de/inland/klimastreiks-friday-for-future-105.html

https://humanities.exeter.ac.uk/archaeology/research/projects/title_89282_en.html

https://www.nationalgeographic.org/maps/doggerland/

Richter, Jürgen, Das Paläolithikum in Westfalen. Archäologie in Ostwestfalen 11 (2008) 9-22.

Mithen, Steven, After the Ice. A Global Human History. 20,000-5000 BC. (2003) London.


[1] Frdl. Mitteilung K. Banghard

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