Das Schnepfen-Evangelium
Für Katholiken ist heute der dritte Fastensonntag. Oculi wird er genannt, nach der für ihn vorgesehenen Predigt oculi mei semper ad dominum (meine Augen schauen stets auf den Herrn: Psalm 25.15). Die große Fastenzeit war in ihren einzelnen Etappen klar strukturiert. Auch die evangelische Kirche taktet diese Zeit sehr genau, in evangelischen Gegenden haben sich die Namen der Passionssonntage (Reminescere – Oculi – Lätare – Palmarum) sogar noch stärker in den Alltag eingegraben. Solche Tagesbezeichnungen waren bevor die Taschenuhr das Leben bestimmte das Mittel der Zeiterschließung.
Für die zum ganz großen Teil landwirtschaftlich geprägte Bevölkerung war der Februar und März die größte Krisenzeit des Jahres, da die Vorräte zur Neige gingen. In dieser Zeit wurde überproportional häufig gestorben, in dieser Zeit wurde man überproportional häufig krank. Die Freude war deshalb groß, wenn ein Anzeiger für ein mildes Frühjahr am Himmel erschien: Die Rückkehr der Waldschnepfenschwärme bereits in der Zeit um Oculi. Ein früher im ganzen deutschsprachigen Raum bekannter Merkspruch für ein gutes Frühjahr bezeichnet das so:
Reminescere: Nach Schnepfen suchen geh
Oculi: Da kommen sie
Lätare: Das ist das Wahre
Palmarum: Trallarum
Quasimodogeniti: Halt Jäger, jetzt brüten sie.
Dagegen der Schnepfenkompass für ein schlechtes Jahr:
Reminescere: Noch Eis und Schnee
Oculi: Sind sie nicht hie
Lätare: Nicht einmal rare
Judica: Noch keine da
Palmarum: Trallarum
So wird auch der Schnepfendukaten verständlich, ein Brauch aus Hessen: Wer im Frühjahr die erste Schnepfe erlegte, bekam ein Goldstück. Denn dieser Moment war heiß erwartet. Das Evangelium an Oculi hieß entsprechend Schnepfenevangelium.
Im heute angesetzten Evangelium geht es um das Austreiben des Teufels. Anscheinend trieb es an Oculi-Sonntagen mit Schnepfenhoffnung eher die Menschen aus der Kirche, worüber sich immer wieder Pfarrer beklagten. Besonders in armen Gegenden war dann die Schnepfenjagd eine erste Erlösung aus der spätwinterlichen Hungerzeit. Denn die Schnepfen erschienen in großen Schwärmen. Gegessen wurden sie mit Innereien - inklusive Darminhalt. Dieser so genannte Schnepfendreck war eine Delikatesse, die manche Traditionsbewusste heute schmerzlich vermissen. Ausgesuchte Restaurants bieten zwar auch aktuell wieder Schnepfendreck an, der aber nur aus gereinigten Innereien wie Herz, Nieren oder Leber besteht. Kennern fehlt da die exkementale Note. Zum ärmlichen Image für solche Füllungen eine archäologische Anekdote: Als der Gründer des Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz, Ludwig Lindenschmit, beim französischen Kaiser Napolon III ein Täubchen auf dem Silbertablett serviert bekam, aß er nur die Füllung. Das feine Täubchen ließ der von der Mainzer Bevölkerung eher als Freak angesehene Lindenschmit zum Entsetzen der höfischen Gesellschaft liegen.
Schnepfendreck wurde meist als Brotaufstrich genossen. In Süddeutschland und der Schweiz glaubte man, dass diese Speise die Sehstärke fördert. In Böhmen gab es die Vorstellung, dass getrockneter Schnepfenkot im Schießpulver die Treffsicherheit erhöht. Solche Ideen kommen daher, dass Schnepfen aufgrund ihres Zickzackfluges nur schwer zu schießen sind. Das gilt für Pfeil und Bogen noch mehr als fürs Gewehr. Erschwerend hinzu kommen die gute Tarnung des Vogels und seine Vorliebe für die Dämmerung. In einer südwestfranzösischen Sage war es die Waldschnepfe, die auf der Flucht nach Ägypten die Spuren der Heiligen Familie vor den Verfolgern verborgen hat. Belohnt wurde sie von Maria mit dem Versprechen, dass niemand ihr Nest finden solle.
In der Vorgeschichte waren Schnepfen demnach in großer Menge vorhanden, aber nicht ganz leicht zu bekommen. Schnepfenknochen finden sich deshalb seit der Steinzeit vereinzelt in den Abfallgruben. In Massen kommen sie allerdings erst seit der Römerzeit vor. Das dürfte mit einer Innovation bei den Stellnetzen zusammenhängen, die große Fänge erst ermöglichten.
Archäozoologische Literatur zu römischen Schnepfenknochen:
Andrei Miron/Christina Wustrow, Die Tierreste aus der römischen Großvillenanlage von Borg. (Saarland). Beiträge zur Archäozoologie und prähistorischen Anthropologie 1, 1997, 59-69.
Dank für wertvolle Tipps an Dr. Helmut Kroll, Kiel
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