Playmobilarchäologieausstellungen. Ein Schwanengesang

Jan Hus muss grinsen. Ihm bleibt auch nichts anderes übrig, denn er ist eine Playmobilfigur. Das Figürchen grinst, obwohl ihm der Scheiterhaufen kurz bevorsteht: das zeigt sein Büßergewand und die Schandkrone mit aufgemalten Teufeln. Hier steht nun der böhmische Reformator auf dem Landesbildungsserver Baden-Württemberg und kann nicht anders, denn er ist ein didaktisch beispielhaftes Lernobjekt zum Konstanzer Konzil von 1415. Dass der ehemalige Rektor der Karls-Universität Prag in dieser Form verewigt ist, geht auf eine Ausstellung im Archäologischen Landesmuseum Konstanz zurück. Dort vermittelt man wie in zahlreichen anderen Museen schon seit Jahren mit Playmobil. Besonders intensiv auf baden-württembergischen Landesausstellungen, vom Pfahlbauer bis zum Mittelalter. Am 24. Februar geht nun in Konstanz eine Römerausstellung mit dem Titel „Römisch Way of Life“ zu Ende.

Mit der Schau „Winzige Weltmacht – 25 Jahre Playmobil“ im Spielzeugmuseum Nürnberg bekam die Marke 1999 erstmals museale Weihen. 2005 wurden für das Varusschlacht Special der Sendung mit der Maus 16.000 Playmobilfiguren eigens produziert. An diesem Special waren wir beteiligt, damals wie heute finde ich die Aktion gut, denn sie veranschaulicht sowohl die Größe als auch die industrielle Dimension römischen Militärs. Die Legion wurde 2009 von der großen Varusschlachtausstellung übernommen und bekam danach einen festen Platz im Römermuseum Haltern. Ganz neu war die Idee nicht, auch in der ersten Varusschlachtausstellung in Osnabrück wurde ein römisches Heer mit Spielfiguren nachgestellt. Nur eben nicht mit Playmobil - bezeichnenderweise ging diese Vorgängeridee kaum in die Geschichte der Ausstellungsgestaltung ein. Playmobil wirkt einfach nachdrücklicher. 2006 gab es den Magdeburger Reiter in Playmobil für die 26. Ausstellung des Europarates „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation“. 2012 folgte der Bamberger Reiter für das 1000-jährige Domjubiläum der Stadt im Diözesanmuseum. Die Auflage einer Heinrich-der-Löwe-Figur durfte schließlich 2015 für die Ausstellung „40 Jahre Playmobil – Eine Abenteuerreise durch die Zeit“ im Braunschweigischen Landesmuseum nicht fehlen. Lediglich die Uta von Naumburg presste man noch nicht als Playmobilfigürchen, obwohl sich ihr geheimnisvolles Lächeln dafür anbieten würde.

Kinder mit Playmobil an Geschichte heranzuführen, gehört zum guten Ton in der Museumspädagogik. Die Jugend wird dort abgeholt, wo sie steht. Und vor allem kommuniziert man in einer universell verständlichen Bildsprache. Mit Playmobil lässt sich prima demonstrieren, wie gut man Didaktik kann: Komplexe Sachverhalte werden so ohne großen intellektuellen Aufwand augenscheinlich radikal heruntergebrochen. Mit etwas Mühe kann Playmobil sogar mit den abstrakten Spielfiguren Friedrich Fröbels in Verbindung gebracht werden. Fröbel - der Erfinder des Kindergartens - versuchte in der Mitte des 19. Jahrhunderts mit genormten Kegeln, Quadern und Zylindern die Erziehung organisierbar zu machen. Aber selbst dem beseeltesten Kurator dürfte insgeheim klar sein, dass das Playmobilkonzept nicht aus pädagogischen, sondern aus marktstrategischen Interessen heraus entstanden ist.

Vielleicht ist es ja gerade das radikal Unmuseale von Playmobil, das Museumspädagogik und Marketing immer wieder reizt, den Kontrast in den Ausstellungen auszuleben? Wenn es so wäre, würde man die Unterschiede thematisieren. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Playmobilschauen typologisch von den gefürchteten Krippenausstellungen abstammen, die bis in die 1990er-Jahre schlechte Besuchsbilanzen im letzten Moment des Kalenderjahres wieder ausbügelten. So etwas lockte damals noch viele Menschen an.

Doch eine Playmobilausstellung spielt mit mehr als mit weihnachtlicher Erbauung. Lego und Playmobil haben vielmehr den Fordismus ins Kinderzimmer gebracht. Einer der ersten Spielzeughersteller, der das Fließband eingeführt hat, war Lego. Seither gibt es Kindermassenkultur als Verbundsystem in einer neuen Dimension. Die kleine Schwester Playmobil hat das Konzept erfolgreich kopiert. Austauschbare, in allumfassenden Systemen organisierte Figuren erhielten seitdem Leitbildfunktion. Ein Blick in eine beliebige Spielwarenabteilung zeigt die Hegemonie der großen Systeme Lego, Playmobil oder Märklin, die uns eine geschlossene Weltschau anbieten. Eine Totalität, die keine Ausreißer duldet. So wird bereits im kindlichen Bewusstsein festbetoniert, dass es keine Alternative zum Bestehenden gibt. Das geht auch ohne Repression – niemand wird ja zum Mitmachen gezwungen. Alle lächeln einheitlich, insbesondere die Figuren. Vollzogen wird nichts weniger als der industrielle, totale Zugriff auf den kindlichen Wunschhaushalt. Wer als Kind mit genormten, durch den Verkaufspreis definierten Playmobilfiguren aufwächst, wird sich als Erwachsener in der Welt der Kaufhausketten, Autohierarchien und Marken besser zurechtfinden. Waren und Menschen scheinen in diesem System noch leichter austauschbar, ihr Wert wird noch klarer etikettiert. Im Frühkapitalismus hat das Spiel auf die Arbeit vorbereitet, im Spätkapitalismus auf den Konsum. Kinder werden dabei von spielenden Subjekten zu Objekten des Marketings. Adorno bringt es in der „Dialektik der Aufklärung“ auf den Punkt:
Das Prinzip gebietet, ihm zwar alle Bedürfnisse als von der Kulturindustrie erfüllbare vorzustellen, auf der anderen Seite aber diese Bedürfnisse vorweg so einzurichten, dass er in ihnen sich selbst nur noch als ewigen Konsumenten, als Objekt der Kulturindustrie erfährt. Nicht bloß redet sie ihm ein, ihr Betrug wäre die Befriedigung, sondern sie bedeutet ihm darüber hinaus, dass er, sei’s wie es sei, mit dem Gebotenen sich abfinden müsse.“ (Es lohnt sich, diese beiden Sätze mehrmals zu lesen).

Dass man sich mit dem Gebotenen abzufinden hat, zeigt kaum etwas deutlicher als die Playmobilisierung der Geschichte. Wesentlicher Sinn von Geschichte ist zu erzählen, wie es zu unserer heutigen Gesellschaft gekommen ist. Wird sogar die Vergangenheit  in ein übermächtiges System aus der Gegenwart eingepasst, verbaut man für viele den Notausgang für alternative Interpretationen. Und wenn Großmuseen dieses System zur Ikone verklären, wird der Deckel unverrückbar auf den historischen Dampfkochtopf gepresst.

Dramatisch formuliert: Es droht die endgültige Kolonialisierung der Phantasie. In den 1980ern gab es dazu wenigstens noch in großer gesellschaftlicher Breite wahrgenommene Kritik, man denke nur an Neil Postmans Bestseller „Das Ende der Kindheit“ von 1982. Oder an die rororo-Monografie des Germanisten Karl W. Bauer und des Soziologen Heinz Hengst von 1980 zur Kinderwirklichkeit aus zweiter Hand. Heute machen dagegen gerade die mit, die eigentlich gegenhalten müssten. Dass es sich dabei häufig um Institutionen handelt, die zu Living History die Nase rümpfen, ist bezeichnend. Mit echten Menschen kommt wohl zu viel Organik in die schöne neue Plastikwelt. Jan Hus kannte kein Plastik. Viel weniger noch die steinzeitlichen Pfahlbaubewohner. Ob das alle Kinder wissen, nachdem sie die Landesausstellungen verlassen haben?
 

Literatur:

Theodor W. Adorno/Max Horkheimer, Dialektik der Aufklärung. In Max Horkheimer, Gesammelte Schriften V (Frankfurt 1987).

Karl W. Bauer/Heinz Hengst, Wirklichkeit aus zweiter Hand. Kinder in der Erfahrungswelt von Spielwaren und Medienprodukten (Hamburg 1980).

Neil Postman, Das Ende der Kindheit (Frankfurt 1982).

 

Karl Banghard

Kommentare

Also mir ist als Archäologe und Vater eines Jungen der grinsende Hus oder Martin Luther lieber, als Luke Skywalker, Hulk und Co. die beim ehemals dänischen Gegenentwurf inzwischen allein das Sagen haben. Wenn ich daran denke, wie weit ursprünglich (1974ff.) die Formensprache von Playmobil amerikanisiert war, dann fand und find ich die Entwicklung seit Einführung der Mittelalterstadt Nürnberger Typs doch erfrischend realitäts- und europabezogen. Und den Bildungsimpact von Wikingern, Römern und Co. sollte man doch nicht aus dem Auge verlieren. Das lässt sich klar und eindeutig in Kilo Plastik und Umsatz DM/€ gegenüber Lego und Barbie beziffern. Und vorallem im fast völligen Zurückdrängen der Wild-West-Spielfiguren. Mir ist die Kritik 1. ein bisschen zu abgehoben und 2. nicht konkret genug. Denn gerade in den letzten Jahren ist wieder der Trend weg von der Realität und hin zu Phantasy und Film-schein-welten (Harry Potter und Co.) zu greifen und das ist von Übel. Ich erlaube mir die Frage wie, wenn nicht durch den Pakt mit dem Teufel, die so geschmähte Playmobilausstellung wollen wir Wissensschaffer und -vermittler denn ein Millionenpublikum erreichen? Wie wollen wir eine Geschäftsführung beeinflussen, für die nur Zahlen gelten? Wenn das Ziel solcher Ausstellungen ist, Nachfrage zu generieren, dann ist das o.K. Was ist denn der Gegenentwurf, das gute alte Zinnfigurendiorama, mit dem nur Opa/Papa spielen durfte? Und Mittelalter-Events mit Morgensternen aus verganem Filz und Holzschwertern mit Fair-Trade-Öko-Siegel mag ich nicht mehr sehen. Denn auch das ist Romantisierung und Verklärung pur. Und was die Kritik am Lächeln angeht, so ist mir als Vater eine gewisse Abstraktion lieber, als dass die Charaktere der Spielfiguren so plump und brutal vorgezeichnet werden, wie bei den Comik-Figuren von Lego. Diese Figuren mit Leben und Charakter zu füllen, dass muss den Kindern überlassen bleiben. Viel bedenklicher als das Playmobil-Lächeln (= alle Menschen sind gleich!) ist doch die Tatsache, dass keine Spielwelt (sogar Feuerwehr und SEK!) mehr ohne erkennbaren Migrantenanteil auskommt, aber andererseits der Anteil der Männer in Kinderklinik, Schule und am Kinderwagen gegen Null geht, der gute alte Bauernhof Horseland heißt und rosa verpackt wird sowie alle Diebe und Einbrecher europäischen Typs sind (Playmobil Katalog 2019 S. 10-12). Ob aber die Hersteller wirklich bereit wären bei Ausstellungen zu kooperieren, die so kritisch sind?

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