Martin Luther mit dem Hubschrauberpilotenhelm. Eine Antwort auf den Blogbeitrag – „Playmobilausstellungen – Ein Schwanengesang“

Seit ich den Text von Karl Banghard zur didaktischen Nutzung von Playmobil in Ausstellungen gelesen habe, hat es mir in den Fingern gekribbelt, darauf zu antworten. Schließlich handelt es sich dabei um das liebste Spielzeug meiner Kindheit, das sich gerade auch zum bevorzugten Freizeitutensil meiner eigenen Kinder entwickelt. Auch mir fallen in archäologischen Ausstellungen die kleinen, vertrauten Figuren immer wieder auf – und dass teils positiv, teils negativ.

Führt also die „Playmobilisierung der Geschichte“ in die „endgültige Kolonialisierung der Phantasie“, wie Banghard es schreibt? Möchte man diese Frage überhaupt mit einer klaren Antwort erwidern, würde ich sagen: nein.

Denn was macht die Faszination von Playmobil eigentlich aus? Zur Verdeutlichung ein kurzer, ziemlich aktueller Erfahrungsbericht aus dem heimischen Kinderzimmer: Die Playmobil-Figur des Martin-Luther, herausgebracht zum 500-jährigen Reformationsjubiläum und von den Großeltern anlässlich einer damals stattgefundenen Reise nach Ostdeutschland als Geschenk mitgebracht, hat durch intensives Bespielen längst Schreibfeder und Bibel verloren. Auch ihren Hut trägt sie nicht mehr. Dafür hat sie nun des Öfteren den Helm eines Hubschrauberpiloten auf dem Kopf. So behelmt ähnelt sie mit ihrem schwarzen Anzug und ebenso schwarzen Mantel eher einer modifizierten Variante des wohl berühmtesten Bösewichts der wohl berühmtesten Science-Fiction-Saga der Filmgeschichte.

Martin Luther wurde instrumentalisiert, durch kindliche Fantasie transformiert zu etwas ganz anderem (freilich ohne großen Erfolg – denn wegen des Mantels passt er leider nicht in den Hubschrauber). Das, was er eigentlich darstellt, wurde nie wirklich wahrgenommen und schon gar nicht reflektiert. Ein charakteristisches Merkmal der Figur war für diesen Prozess sicherlich eher förderlich als abträglich: das Lächeln, das ihm wie jeder anderen Figur seiner Art ins Gesicht gebrannt ist.

Die Uniformität von Playmobilfiguren führt zur inhaltlichen Austauschbarkeit und lässt der Vorstellungskraft erst freien Lauf (in unserer Wohnung ist übrigens Playmobil aus drei verschiedenen Generationen im Einsatz, verknüpft mit alten persönlichen Erinnerungen der Eltern und neuen, gerade erst im Entstehen begriffenen Erinnerungen der Kinder).

Aber wie ist die Wirkung von Playmobil in Ausstellungen? Hier fällt die Antwort zugegebenermaßen nicht mehr ganz so leicht. Eine römische Playmobil-Legion funktioniert sicherlich für viele Besucher genauso, wie es sich die Ausstellungsmacher gedacht haben: Die Größe, Schlagkraft und der Charakter einer durch und durch strukturierten Heeresmacht können durch die Nutzung des Mediums Playmobil sicher gut vermittelt werden (oder eben auch die Wucht und Bedeutung eines Ereignisses, bei dem gleich drei solcher Großkampfeinheiten vernichtet wurden).

Was wären denn Alternativen? Figuren mit einem höheren Grad an Individualität? Dies ist ein reizvoller Gedanke, der vor allem in kleineren Museen in Form von Dioramen mit zwei- oder dreidimensionalen Zinnfiguren ja auch oft umgesetzt wurde und wird. Diese aus dem klassischen Modellbau kommende Art der Visualisierung historischer oder archäologischer Inhalte wird heute zu Recht oft als nicht mehr zeitgemäß empfunden. Hier ließe sich aber Abhilfe schaffen, insbesondere auch dann, wenn man an die Erschließung neuer Besuchergruppen denkt: Das Universum der Tabletop-Spiele bietet – gerade aus dem Bereich historischer Schlachtsimulationen – einen unüberschaubaren Markt an hochqualitativen Miniaturen in verschiedenen Maßstäben. Zum Hobby gehört es dazu, diese äußerst kunstfertig zu bemalen – egal ob es sich um ein Bataillon von Soldaten der napoleonischen Zeit oder eine Horde wütender Orks aus einem Fantasy-Setting handelt. In diesem Bereich der Freizeitgestaltung, der immerhin mehreren großen Firmen und zahlreichen Künstlern ein Auskommen beschert, wird ein besonders hohes Maß an Individualität angestrebt. Das Ergebnis ist aber, zumindest in meinen Augen, der Verlust der Möglichkeit zu abstrahieren, also in meiner eigenen Vorstellung etwas anderes aus einer solchen Figur zu machen, als sie von ihrem Schöpfer geplant darstellen soll (an dieser Stelle eine persönliche Anmerkung: Es lebe das gute alte Pen & Paper-„Rollenspiel“, bei dem weitgehend alles der eigenen Fantasy überlassen wird).

Als problematischer empfinde ich es, wenn – wie im von Banghard beschriebenen Fall des Reformators Jan Hus – eine Persönlichkeit, eine konkrete Begebenheit oder – wie im folgenden Beispiel – ein spezieller Berufsstand Inhalt der Darstellung ist. Auf meinem Schreibtisch steht neuerdings die Playmobilverpackung 9359, die einen Archäologen bei der Arbeit enthält. Das Bild auf der Vorderseite zeigt eine männliche Playmobilfigur mit strähnigem, schwarzen Haar und einem ausgeprägten Stoppelbart, die mit Kelle und Pinsel bewaffnet ein offenbar altägyptisches Grab freilegt. Der kulturelle Zusammenhang wird nicht so sehr durch das im Wüstensand bereits halb freipräparierte Grab oder die darin enthaltenen Beigaben bestimmt, sondern insbesondere durch eine im Hintergrund abgebildete Pyramide. Passend dazu ragt ein Kakteengewächs aus dem Sand neben dem Grab hervor. Der Archäologe selbst trägt angemessene Outdoor-Kleidung: eine kurze Hose, ein Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln und eine Weste. Seine Schuhe und Beine sind mit Erde verdreckt. Zwar zeigen einige, fein säuberlich neben dem Grab aufgereihte weitere „Archäologenwerkzeuge“ und eine ebenfalls enthaltene Kamera, dass hier kein Raubgräber am Werke ist. Auch enthält das Grab keinen Goldschatz. Aber: Das halb freigelegte Skelett und die Beigaben – ein Dolch und eine Kanne aus Bronze – lassen zusammen mit dem inszenierten Setting die Botschaft insgesamt doch klar rüberkommen: Archäologie ist Abenteuer. Ähnlich, wenn auch in schwächerer Form, äußert sich der Begleittext zum Produkt auf der Homepage des Herstellers: „Die Archäologie ist so spannend.“ Gerade die Konkretisierung der Darstellung, die damit einhergehende Verbindlichkeit der Aussage im Sinne des Herstellers und die daraus resultierende Einschränkung eigener Interpretationsmöglichkeiten sind es, was mich – und sicher auch andere Archäologen – daran stört.

Dass für die Generation meiner Kinder eine „Playmobilisierung der Geschichte“ eintreten wird, befürchte ich alles in allem nicht. Im Gegenteil, ich freue mich, wenn ich erfahren darf, was in den Köpfen meiner Kinder aus den kleinen lächelnden Figuren geformt wird – egal ob zu Hause oder in einer Ausstellung. Im Übrigen, wenn die Hoffnung auf ein paar aufgestellte Playmobilfiguren Kinder dazu bewegen kann, freudiger als sonst mit in eine Ausstellung zu kommen, wäre das aus meiner Sicht ein Aspekt, der alle womöglich vorhandenen negativen Gesichtspunkte aufwiegen würde.

Durch die Stimulation der eigenen Vorstellungskraft wird meines Erachtens sogar eine ganz andere, viel konkretere Gefahr gemindert: Die gezielte Lenkung der kindlichen Aufmerksamkeit in Richtung ausgeklügelter Merchandise-Systeme vom Schlage eines ewig heldenhaften Feuerwehrmanns, der in einer walisischen Kleinstadt ein Feuer nach dem anderen löscht, oder süßen kleinen Hundewelpen, die mit ihrer Superheldenausrüstung und ihrem hoch technisierten Fahrzeugpark gefährliche Aufträge zu lösen haben: passives, nach Kinderwunsch zeitlich eigentlich unbegrenztes Starren auf seelenlos computeranimierte – und im Übrigen ebenfalls oftmals dauergrinsende – Figuren einerseits, und die meist durch das zuvor Gesehene gesteuerte spielerische Umsetzung mit allerlei im Vorfeld zu kaufendem System-Spielzeug andererseits.

Ein ganz anderes Problem ist, zu guter Letzt, sicherlich die bisweilen vorkommende Verwendung von Playmobil in Ausstellungen lediglich um zu „demonstrieren, wie gut man Didaktik kann“, wie Banghard schreibt. Dies hat oft zur Folge, dass die in solchen Fällen wenig reflektiert eingesetzten Figuren einen starken Bruch in der Ausstellungsgestaltung bewirken. Die Bedeutung der ästhetischen Wirkung auf die Besucher wird bisweilen unterschätzt, und ein paar Playmobilfiguren zwischen Vitrinen mit archäologischen Originalfunden können unter Umständen Zweifel an der Umsetzung eines in sich geschlossenen Gestaltungskonzeptes aufkommen lassen. Hier kommt es darauf an, welche Idee man hat, welche didaktischen Ziele man verfolgt und wie man diese umsetzt – ganz so, wie es übrigens auch für die „Living History“ gilt.

 

Dr. Patrick Jung

Ruhr Museum Essen

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