#Kultblick in den Spiegel
Das Archäologische Museum Hamburg hat zur Blogparade aufgerufen. Es geht um unseren Blick auf Kultur. Als Archäologisches Freilichtmuseum können wir ziemlich viele Blickwinkel auf die menschliche Kultur einnehmen. Unsere Ausstellung behandelt schließlich fast 13.000 Jahre Menschheitsgeschichte.
Als Museumspädagoge bin ich in der Vermittlerrolle zwischen den Fachwissenschaften – Archäologie und Geschichte – und den Besucherinnen und Besuchern. Während ich meinen eigenen Blick auf die vergangenen Kulturen habe, kommuniziere ich in Führungen mit Museumsgästen, die ganz andere Perspektiven haben. Oft entstehen dadurch interessante Gesprächsrunden, von denen am Ende nicht nur die Besucher einen Mehrwert haben, sondern auch ich selbst.
Mit jedem Schritt, den wir den Weg durch das Museumsgelände entlang gehen, ziehen Jahrhunderte an uns vorbei. Doch halten wir an einem Exponat, so bleibt die Zeit plötzlich stehen. Was wir betrachten, anfassen, sogar betreten können, ist eine Momentaufnahme, ein Bild, das wir von Fragmenten einer vergangenen Kultur erschaffen haben. Unsere Exponate sind Hausrekonstruktionen, Nachbauten, wiederhergestellte archäologische Befunde so zu sagen. Sie geben nur ein grobes Bild wieder, aber es genügt, sich lebendige Vorstellungen vergangener Kulturen zu machen.
Wie schauen wir auf diese alten Kulturen? Das ist immer wieder zentrale Frage in diesen Gesprächen. Denn der Blick auf vergangene Kulturen ist auch immer ein Spiegel der eigenen Kultur. Halten wir die Menschen der Steinzeit etwa für primitive Barbaren, die zu dumm waren sich anständige Häuser zu bauen? Wie blicken wir denn dann auf heute existierende Kulturen so genannter indigener Völker, die unter ähnlichen Bedingungen leben? Sind die auch primitiv? Stehen wir in unserer „Hoch"-Kultur etwa über diesen „Nieder"-Kulturen? (Die Frage ist rhetorisch gemeint, vgl. Beitrag von Indira Kaffer-Schmickler)
Oder idealisieren wir andersherum eine bestimmte vergangene Kultur und erheben sie zu einem Vorbild, nach dem wir uns richten und unsere eigene Kultur aus-richten sollten? Dazu werden eigene Ideale auf eine Vorzeit projiziert, um bewusst oder unbewusst die eigene Weltanschauung historisch zu legitimieren. Zu letzterem hat das 1936 als „Germanengehöft" gegründete Freilichtmuseum in Oerlinghausen selbst beigetragen, indem es ein völkisch-nationalsozialistisches Germanenbild transportierte. Ein solches findet sich heute glücklicherweise nur noch an einem extrem rechten Rand wieder, wo es hoffentlich bleibt. Das Bild dagegen vom affenähnlichen Uga-Uga-Steinzeitmenschen mit nur einer Augenbraue und der Keule auf seiner Schulter ist durchaus noch sehr verbreitet.
Wieso sonst – um bloß ein Beispiel zu nennen – haben die Menschen denn zur Altsteinzeit nur Zeltegebaut, statt dauerhaft stehende Häuser? Ganz einfach, weil sich ihre Kultur in die Natur eingefügt hat. Kultur gilt häufig als Gegenbegriff zur Natur. Kultur ist demnach das, was der Mensch schafft; Natur ist alles andere, in das der Mensch durch seine Kultur mehr und mehr eingreift. Doch kann man nicht immer eine so klare Abgrenzung zwischen beidem ziehen. Die längste Zeit der Geschichte griff der Mensch nicht so sehr in seine Umwelt ein.
Die Hamburger Jäger-und-Sammler-Kultur, dessen Zelt wir im Freilichtmuseum rekonstruiert haben, ist nicht zu „doof" gewesen, ein Haus zu bauen, sondern es gab in der damaligen Tundra wenig geeignetes Baumaterial, und da die Menschen Jagd auf die großen Rentierherden machten, benötigten sie ein „home to go", das sie schnell zusammenpacken und mitnehmen konnten, wenn sie ihrem „Essen hinterher liefen". Das taten sie, weil das unter den damaligen Umständen die beste Lebensweise war.
Und auch wenn so eine Frage schnell zu beantworten scheint, muss doch immer offen bleiben, was wir alles nicht wissen. Wir wissen zum Beispiel nicht genau, ob ein solches Zelt mit vielen Zeltstangen oder nur einer zentralen gebaut wurde. Wir wissen nicht, ob die späteren, mittelsteinzeitlichen Hütten mit Schilf oder mit Birkenrinde bedeckt waren. Darum präsentieren wir im Museum beide Varianten. Und dabei sind das dingliche Quellen, die sich ausgraben lassen. Soziale Strukturen können wir nicht ausgraben.
So vieles können wir nur vermuten, und deshalb muss ich auch mein eigenes Geschichtsbild, meinen #Kultblick auf das Vergangene immer wieder hinterfragen. Immer wieder wird mir das in den Museumsführungen deutlich. Denn es dürstet einen nach eindeutigen, einfachen Antworten, die man nicht immer ohne weiteres geben kann. Schnell verfestigt sich ein Bild, mit dem man sich anfreunden kann. Nur langsam lässt es sich mit neuen Forschungsergebnissen übermalen.
Mein #Kultblick richtet sich auf vergangene Kulturen, die ihn als Spiegel auf mich selbst zurück werfen.
Marcus Coesfeld
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