Insignien, Karl und der „Wilde Osten“: Warum nutzten die Nationalsozialisten Mittelalterausstellungen? Eine Spurensuche (Teil 2)

Im ersten Teil der Blogreihe ging es um die Frage, warum das NS-Regime überhaupt Ausstellungen über das Mittelalter nutzte. In den wirren und widersprüchlichen nationalsozialistischen Geschichtsbildern wurde das Mittelalter zwar nicht durchweg positiv gesehen, denn Bezugspunkt war eher die vermeintlich glorreiche germanische Vor- und Frühgeschichte. Allerdings wurden, hauptsächlich von Mitgliedern der Reichsleitung und des Kabinetts wie Alfred Rosenberg, Richard W. Darré und Heinrich Himmler, einige Personen und Ereignisse der mittelalterlichen Geschichte herangezogen, um die NS-Propaganda zu untermauern und imperialistische Ziele zu rechtfertigen. Diese Mitglieder waren in ihren Funktionen auch für die Organisation und Konzeption von Ausstellungen verantwortlich.

Im zweiten Teil soll es nun konkret um zwei wichtige Persönlichkeiten der mittelalterlichen Geschichte gehen, die in Ausstellungen der NS-Zeit zu einem gefügigen Instrument der Propaganda gemacht wurden: Karl der Große und Widukind.

Eine wesentliche Funktion in Bezug auf die Mittelalterbilder der NS-Ausstellungen kam den mittelalterlichen Herrschergestalten und Persönlichkeiten zu. Dies lässt sich besonders bei der Ausstellung Deutsche Größe (1940) feststellen. In der damaligen historischen Forschung an den Universitäten waren Karl der Große und Widukind im Mittelpunkt zahlreicher Diskussionen. An der Ausstellung Deutsche Größe waren die einflussreichen Mediävisten Otto Brunner, Edmund Ernst Stengel und Fritz Rörig maßgeblich beteiligt. Es waren sehr unterschiedliche Wertungen Karls des Großen und Widukind, die in der Zeit von 1933 bis 1940 jeweils eine Umdeutung erfuhren. Zunächst wurde Widukind als heidnischer, sächsischer und damit das Germanische verkörpernder Fürst als Identifikationsfigur favorisiert, insbesondere vom antikirchlich eingestellten Alfred Rosenberg. Ebenso war auch das Bild Widukinds als „Rebell" in den Anfangsjahren des nationalsozialistischen Regimes durchaus anschlussfähig, da das Selbstbild einer revolutionären Bewegung gepflegt wurde. Karl der Große wurde bei Vertretern der völkisch-nationalen Deutung als christlicher, eher der französischen Geschichte zugeordneter König und „Sachsenschlächter" zunächst abgelehnt. Dies stieß aber auf Gegenwehr, vor allem der universitären Mittelalterhistoriker, die an einer positiveren Bewertung der karolingischen Geschichte festhalten wollten. Eine Wendung in dieser Diskussion zeichnete sich allerdings mit der zunehmenden Konsolidierung und den Expansionsbestrebungen des NS-Regimes ab. Für diese Ziele erschien ein Bezug auf Karl den Großen politisch opportuner als das Postulieren und Fortschreiben des Rebellen-Mythos.

Die Räume der Ausstellung Deutsche Größe, die am 8. Oktober 1940 in München eröffnet wurde, zeichneten sich durch die Darstellung von Herrschergestalten aus, die als dominierend für die jeweilige Epoche angesehen wurden. Besonderes Charakteristikum der Ausstellung war das Bestreben, die jeweils ausgestellte Zeitperiode gestalterisch nachzuempfinden. Die 16 Ausstellungsräume, von denen 14 einen chronologischen Abriss der deutschen Geschichte von der Völkerwanderung bis in die NS-Zeit zeigten, wirkten wie architektonische Zitate. In seiner Rede zur Ausstellungseröffnung am 8. November erläuterte Alfred Rosenberg die Gestaltung und zugleich, welche Zielgruppe angesprochen werden sollte:

„In Räumen, die nicht nach dem Beispiel alter Museen einen antiquarisch sentimentalen Charakter haben, sondern nur durch eine architektonische Andeutung das Stilgefühl der bestimmten Epoche abgrenzen, soll die Entwicklung der Machtkämpfe um den deutschen Raum und um das Deutsche Reich vor jenen erstehen, die schon ein allgemeines Verstehen für diese Kämpfe mitbringen; aber zugleich soll hier den breitesten Massen des deutschen Volkes die Möglichkeit gegeben werden, eine zusammengeballte Volkskraft von 2000 Jahren zu empfinden und durch das Auge das Erlebnis eines ungeheuren menschlichen Ringens vermittelt zu erhalten." (Bundesarchiv Berlin: BArch NS 8/62, Bl. 203f.).

Dieses Nachahmen eines historischen Ambientes führte zu einer kulissenhaften Wirkung der Ausstellungsräume. Sie zeichneten sich durch die verschiedenen Präsentationsformen aus; Spruchtafeln, Karten, Bilder und Friese, Fotomontagen und Objektevitrinen sollten den Besucherinnen und Besuchern die vermeintliche deutsche Vergangenheit verdeutlichen. Ergänzt wurde das Ganze durch kurze einführende Texttafeln, die als roter Faden durch die Ausstellung führen sollten. Was für uns heute als durchschnittliche und gängige Gestaltung einer Ausstellung gilt, war damals etwas Einzigartiges und Neues.

Bei der Ausstellungsgestaltung war eine Einwirkung des Films mit seinen stilistischen Möglichkeiten offensichtlich. Hinzu kam, dass zu jedem Themenraum auch die „Forschungsliteratur" in Vitrinen präsentiert wurde, wie Rosenberg in der Eröffnungsrede anpries: „Über tausend Schriften, die in jedem Raum der Epoche entsprechend ausgestellt sind, sollen tiefer Interessierten die Möglichkeit geben, die geschichtliche Erkenntnis allseitig ausgestalten zu können […]". (BArch NS 8/62, Bl.205). Bei diesen Bücherpräsentationen handelt es sich quasi um die ‚Keimzellen' der Ausstellungstätigkeit des Amtes für Schrifttumspflege, das sich zunächst auf Buchausstellungen spezialisiert hatte. Die in Deutsche Größeausgestellten Bücher waren auch teilweise käuflich zu erwerben.

Die Ausstellungsräume 2 bis 6 beschäftigten sich mit dem Mittelalter. Der unter dem Schlagwort „Das Frankenreich" stehende Raum 3 war mit Elementen der Pfalzkapelle in Aachen ausgestaltet. In der Mitte des Raumes bildete eine Nachbildung des Widukind-Grabes der Enger Stiftskirche aus dem 13. Jahrhundert das Zentrum. Ebenso stießen die Besucherinnen und Besucher auf die Replik einer kleinen bronzenen Reiterstatuette, die vermeintlich Karl den Großen darstellt (heute wissen wir, dass es eher eine Darstellung Karls des Kahlen ist). In den Vitrinen fanden sie ein Modell der Torhalle von Lorsch und verschiedene Faksimiles wie beispielsweise Urkunden, Einhards Vita Caroli Magni oder den Codex Aureus von St. Emmeran. Darüber hinaus wurden der sogenannte Tassilokelch und der Heribertkamm aus dem 10. Jahrhundert gezeigt.

Die Persönlichkeiten der mittelalterlichen Geschichte wurden als Gegensatzpaare und dualistisch dargestellt. Der Gegensatz Widukinds und Karls des Großen spielte eine entscheidende Rolle in dieser Präsentation. Karl der Große verkörperte in der Ausstellung Deutsche Größe nun das zum Kaisertum gelangte Germanentum, das für die Formierung Europas verantwortlich war, und erfuhr damit eine Aufwertung. Der Ausstellungskatalog beschreibt es folgendermaßen: „Er schuf aus dem merowingischen Erbe ein neues Universalreich, das die wichtigsten abendländischen Völker des Mittelalters in einem geschlossenen Untertanenverband vereinte." (Ausstellungskatalog Deutsche Größe 1940, S. 72f.).

 In der Gestaltung der Ausstellung manifestierte sich gewissermaßen der Diskurs um Widukind und Karl dem Großen: Das Grab Widukinds im dritten Raum der Ausstellung steht eindeutig im Zentrum der Präsentation, während Karl der Große durch die kleine, etwas unscheinbare bronzene Reiterfigur aus dem Louvre repräsentiert wird. Jedoch ist die übergreifende Raumgestaltung an die Aachener Pfalzkapelle angelehnt und damit die Verknüpfung mit der karolingischen Ära dominierend. Fast mag man von einer ‚harmonisierenden' Szenographie sprechen. Dies lässt sich in das Programm einbinden, das Karl Alexander von Müller in seinem einführenden Text zum Ausstellungskatalog entfaltet: „Wo ist ein anderes Volk, das seine inneren Gegensätze so oft wie das unsrige auf beiden Seiten mit ebenbürtigen Machtgestalten verkörpert hätte – Karl und Wittekind, Friedrich Rotbart und Heinrich der Löwe, Friedrich der Große und Maria Theresia?" (Ausstellungskatalog Deutsche Größe 1940, S. 33). Es scheint, als habe das Amt Rosenberg bei der Ausstellung Deutsche Größe anhand dieser antagonistischen Darstellungen versucht ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Geschichtsdeutungen und Präferenzen in Bezug auf das Mittelalter herzustellen. Die aufwändig inszenierte Ausstellung „Deutsche Größe", die noch an fünf weiteren Standorten gezeigt wurde, sollen nach interner Zählung 657.000 Menschen besucht haben.

Ein weiteres Merkmal der Darstellungen mittelalterlicher Herrscher ist die Stilisierung als Eroberer, besonders im Osten. Dazu mehr in Teil 3 der Blogreihe.

Katharina Höntges

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