Insignien, Karl und der „Wilde Osten“: Warum nutzten die Nationalsozialisten Mittelalterausstellungen? Eine Spurensuche (Teil 1)

Geschichte und Ausstellungen als Propagandafaktor

„Wer kein Organ für Geschichte hat, ist wie ein Mensch, der kein Gehör oder kein Gesicht hat. Leben kann er auch so, aber was ist das?“

Dieser Satz stammt von Adolf Hitler und er steht stellvertretend für viele andere Aussprüche dieser Art. Der Umgang mit Geschichte spielte im NS-System von 1933 bis 1945 eine wichtige Rolle, er gehörte zu den wichtigsten ideologischen Mitteln der Herrschaft.

 

Dabei gab es nicht eine bestimmte Epoche oder einen Zeitraum, den man besonders bevorzugte. Es handelte sich um einen kruden Mix verschiedener historischer Personen, Zeiten und Ereignisse, aus denen „die Geschichte“ zusammengebastelt wurde. Durch das „Massenmedium“ Ausstellung konnten diese bestimmten Vorstellungen von Geschichte und ihrem Ablauf, sogenannte Geschichtsbilder, gestreut und damit die nationalsozialistische Propaganda verbreitet werden. Propaganda heißt hier in aller Kürze: Überhöhtes Selbstbild und negatives Feindbild. Zwischen 1933 und 1944 sind 344 dieser Ausstellungen des NS-Regimes durch jeweils mindestens ein Faltblatt überliefert.

Aber warum wählten die Nationalsozialisten unter anderem auch Ausstellungen als Mittel ihrer menschenverachtenden Propaganda? Sie erkannten in den Ausstellungen eine Möglichkeit komplexe Themen zu veranschaulichen und vermeintliche Fakten mit Emotionen verknüpfen zu können. Ausstellungen sind kulturelle Praxis der Gesellschaft. Sie erzählen und präsentieren eine bestimmte Sicht auf die Vergangenheit, indem sie Bilder, Texte, Objekte und ähnliches nutzen und zueinander in Beziehung setzen. Ausstellungen waren daher ein wichtiger Kanal, durch den die nationalsozialistische Propaganda mit ihren einfachen Botschaften und Handlungsaufforderungen verbreitet wurde.

Eine besondere Rolle spielte hier auch das Mittelalter. Immer wieder wurde auf diese Zeit und die mit ihr verknüpften Vorstellungen Bezug genommen. Besonders der Begriff des „Reichs“ nimmt eine zentrale Stellung ein. Schon allein bei dem Begriff „Drittes Reich“ griffen die Nationalsozialisten auf die Vorstellung eines bestimmten (deutschen) Mittelalters zurück. Dabei wird das Mittelalter bzw. das Heilige Römische Reich als das „Erste Reich“ bezeichnet, das „Zweite Reich“ umfasst die Kaiserzeit ab 1871 und das „Dritte Reich“ die Zeit der NS-Herrschaft. Interessanterweise wurde diese Bezeichnung 1939 von Hitler untersagt. Denn was sollte auf ein „Drittes Reich“ anderes folgen als ein Viertes? Das war nun zu viel des Guten.

Mittelalterliche Zeichen für die Volksgemeinschaft: Die Ausstellung Deutsches Volk – Deutsche Arbeit

Ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Nationalsozialisten unter anderem auch Vorstellungen und Bilder vom Mittelalter zu Nutze machten, liefert die Ausstellung Deutsches Volk – Deutsche Arbeit. Sie war vom 21.04. bis zum 03. 06. 1934 in den Ausstellungshallen am Messedamm in Berlin zu sehen. Obwohl es – wie der Titel vermuten lässt – hauptsächlich um unterschiedliche Gewerbe und Industriezweige ging, betraten die Besucherinnen und Besucher interessanterweise zu Beginn die geschichtliche Abteilung in einer „Ehrenhalle“. Hier konnten sie in chronologischer Reihenfolge die „drei Reiche“ abschreiten. Das „Erste Reich“ wurde in der sogenannten Schatzkammer links vom Haupteingang ausgestellt. Hier stießen die Besucherinnen und Besucher also zunächst auf das Mittelalter. Die Schatzkammer war wie eine Krypta gestaltet und zeichnete sich durch eine feierliche Atmosphäre aus. Der Boden war mit grauen Steinfliesen ausgelegt, die Wände dunkelrot gestrichen. Strichzeichnungen mittelalterlicher Herrschergestalten, Karten und erklärende Schriftzüge prägten die Wandgestaltung. Und eine besondere Objektgruppe stand im Zentrum dieses Ausstellungsraums: Die Reichsinsignien.

Es handelt sich hierbei um Exponate, die schon seit dem Mittelalter im Sinne von Macht- und Herrschaftsdemonstration gezeigt wurden. Die Historie der Reichkleinodien und ihrer symbolischen Verwendung in der deutschen Geschichte ist vielschichtig. Zu der seit dem 12. Jahrhundert feststehenden Gruppe der Reichskleinodien gehören mehrere Objekte: Eine Krone, das Reichsschwert, die Lanze, das Reichskreuz, das Zepter, der Reichsapfel und diverse Krönungsgewänder. Im Mittelalter verstanden die Menschen sie als legitimierendes Charakteristikum einer weltlichen, aber auch geistlichen Würde – und damit als Herrschaftszeichen. Mit ihrer Verwendung bei bestimmten Anlässen des herrschaftlichen Zeremoniells, etwa einer Königs- oder Kaiserkrönung, wurden die Reichsinsignien der Bevölkerung gezeigt. (Erz-) Bischöfe übergaben die Insignien und dieser Akt markierte damit den eigentlichen Herrschaftsbeginn. Die Objekte sollten so die gottgewollte anhaltende Kontinuität des (Heiligen) Römischen Reiches demonstrieren. Im Laufe der Zeit wurde den Insignien ein Reliquienstatus zuerkannt und diese Heiligsprechung führte im Spätmittelalter auch zu einer rituellen öffentlichen Verehrung.

 In der Ausstellung Deutsches Volk – Deutsche Arbeit war eine bereits 1915 angefertigte Kopie der genannten Insignien zu sehen, das Stadtmuseum Aachen stellte sie als Leihgabe zur Verfügung. Eine Anfrage Berlins an Wien, die Originalobjekte für die Zeit der Ausstellung ausleihen zu dürfen, wurde abgelehnt; die historischen und politischen Botschaften waren dem Kunsthistorischen Museum Wien also durchaus bewusst. Dadurch, dass sich die Originale zu diesem Zeitpunkt in Österreich befanden, bekommt das Zeigen dieser Objekte 1934 eine politische Dimension. Zum einen bargen sie eine Verheißung: Die Erfüllung des Reichsgedankens und die Verwirklichung Großdeutschlands. Die Vorstellungen vom „Dritten Reich“ als Erbe des mittelalterlichen Reiches existierten bereits in der Tradition des völkisch-nationalen Geschichtsdenkens ab dem 19. Jahrhundert. Sie erfuhren ab 1933 durch die universitäre Historikerschaft einen Aufschwung, die in der Mehrheit über die nationalen Grenzen hinausweisenden Herrschaftsansprüche begeistert aufnahm. Der Begriff „Reich“ war dehnbar und mit unterschiedlichen Deutungsvarianten aufgeladen. Als gemeinsamer Nenner der verschiedenen Auffassungen kann die Bedeutung einer räumlichen Rassen- und Blutseinheit herauskristallisiert werden. Das Wort „Reich“ enthielt die gedankliche Verbindung zum Lebensraum, den die auf „Rasse“ und „Blut“ begründete Volksgemeinschaft beanspruchte. Die Begriffe „Führertum“ und „Reich“ waren in der Herrschaftsideologie des Nationalsozialismus eng miteinander verknüpft: „Führung“, die auf Autorität und Charisma beruhte, entzog sich rechtlichen Bindungen und Beschränkungen. „Reich“ umschrieb das völkische Substrat und die räumliche Reichweite dieser auf „Führerschaft“ aufgebauten Lebensordnung.

Mittelalterliche Zeichen für die Volksgemeinschaft: Die Ausstellung Deutsches Volk – Deutsche Arbeit

Ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Nationalsozialisten unter anderem auch Vorstellungen und Bilder vom Mittelalter zu Nutze machten, liefert die Ausstellung Deutsches Volk – Deutsche Arbeit. Sie war vom 21.04. bis zum 03. 06. 1934 in den Ausstellungshallen am Messedamm in Berlin zu sehen. Obwohl es – wie der Titel vermuten lässt – hauptsächlich um unterschiedliche Gewerbe und Industriezweige ging, betraten die Besucherinnen und Besucher interessanterweise zu Beginn die geschichtliche Abteilung in einer „Ehrenhalle“. Hier konnten sie in chronologischer Reihenfolge die „drei Reiche“ abschreiten. Das „Erste Reich“ wurde in der sogenannten Schatzkammer links vom Haupteingang ausgestellt. Hier stießen die Besucherinnen und Besucher also zunächst auf das Mittelalter. Die Schatzkammer war wie eine Krypta gestaltet und zeichnete sich durch eine feierliche Atmosphäre aus. Der Boden war mit grauen Steinfliesen ausgelegt, die Wände dunkelrot gestrichen. Strichzeichnungen mittelalterlicher Herrschergestalten, Karten und erklärende Schriftzüge prägten die Wandgestaltung. Und eine besondere Objektgruppe stand im Zentrum dieses Ausstellungsraums: Die Reichsinsignien.

Es handelt sich hierbei um Exponate, die schon seit dem Mittelalter im Sinne von Macht- und Herrschaftsdemonstration gezeigt wurden. Die Historie der Reichkleinodien und ihrer symbolischen Verwendung in der deutschen Geschichte ist vielschichtig. Zu der seit dem 12. Jahrhundert feststehenden Gruppe der Reichskleinodien gehören mehrere Objekte: Eine Krone, das Reichsschwert, die Lanze, das Reichskreuz, das Zepter, der Reichsapfel und diverse Krönungsgewänder. Im Mittelalter verstanden die Menschen sie als legitimierendes Charakteristikum einer weltlichen, aber auch geistlichen Würde – und damit als Herrschaftszeichen. Mit ihrer Verwendung bei bestimmten Anlässen des herrschaftlichen Zeremoniells, etwa einer Königs- oder Kaiserkrönung, wurden die Reichsinsignien der Bevölkerung gezeigt. (Erz-) Bischöfe übergaben die Insignien und dieser Akt markierte damit den eigentlichen Herrschaftsbeginn. Die Objekte sollten so die gottgewollte anhaltende Kontinuität des (Heiligen) Römischen Reiches demonstrieren. Im Laufe der Zeit wurde den Insignien ein Reliquienstatus zuerkannt und diese Heiligsprechung führte im Spätmittelalter auch zu einer rituellen öffentlichen Verehrung.

 In der Ausstellung Deutsches Volk – Deutsche Arbeit war eine bereits 1915 angefertigte Kopie der genannten Insignien zu sehen, das Stadtmuseum Aachen stellte sie als Leihgabe zur Verfügung. Eine Anfrage Berlins an Wien, die Originalobjekte für die Zeit der Ausstellung ausleihen zu dürfen, wurde abgelehnt; die historischen und politischen Botschaften waren dem Kunsthistorischen Museum Wien also durchaus bewusst. Dadurch, dass sich die Originale zu diesem Zeitpunkt in Österreich befanden, bekommt das Zeigen dieser Objekte 1934 eine politische Dimension. Zum einen bargen sie eine Verheißung: Die Erfüllung des Reichsgedankens und die Verwirklichung Großdeutschlands. Die Vorstellungen vom „Dritten Reich“ als Erbe des mittelalterlichen Reiches existierten bereits in der Tradition des völkisch-nationalen Geschichtsdenkens ab dem 19. Jahrhundert. Sie erfuhren ab 1933 durch die universitäre Historikerschaft einen Aufschwung, die in der Mehrheit über die nationalen Grenzen hinausweisenden Herrschaftsansprüche begeistert aufnahm. Der Begriff „Reich“ war dehnbar und mit unterschiedlichen Deutungsvarianten aufgeladen. Als gemeinsamer Nenner der verschiedenen Auffassungen kann die Bedeutung einer räumlichen Rassen- und Blutseinheit herauskristallisiert werden. Das Wort „Reich“ enthielt die gedankliche Verbindung zum Lebensraum, den die auf „Rasse“ und „Blut“ begründete Volksgemeinschaft beanspruchte. Die Begriffe „Führertum“ und „Reich“ waren in der Herrschaftsideologie des Nationalsozialismus eng miteinander verknüpft: „Führung“, die auf Autorität und Charisma beruhte, entzog sich rechtlichen Bindungen und Beschränkungen. „Reich“ umschrieb das völkische Substrat und die räumliche Reichweite dieser auf „Führerschaft“ aufgebauten Lebensordnung.

Das Gebilde des „Reiches“ als epochenübergreifende Raum- und Ordnungsidee kam also schon in der Ausstellung Deutsches Volk – Deutsche Arbeit zum Tragen. Die Reichsinsignien sind so als Propagandamittel eingesetzt worden. In der Ausstellungsinszenierung wird diese Absicht deutlich; durch sie soll sich der Besucher oder die Besucherin in die Geschichte eingebunden fühlen. Es wird ein Spannungsverhältnis zwischen Vergangenheit und Zukunft geschaffen, in dem einerseits die Besucherinnen und Besucher in eine mittelalterliche, krypta-artige Szenerie versetzt wurden, deren „Krönung“ im wahrsten Sinne die Reichsinsignien darstellten. Andererseits aber beinhalteten eben diese ausgestellten Insignien auf doppelbödige Art und Weise auch den Verweis auf eine Zukunftsperspektive: Das Großdeutsche Reich. Es handelte sich hierbei 1934 (noch) um eine Utopie, die in der Ausstellung durch die Objekte veranschaulicht wurde.

In der Theorie Walter Benjamins besteht die „Aura“ eines Objektes aus den ihm zugeschriebenen Bedeutungen, die in einer Gesellschaft über Generationen weitergegeben und immer wieder kultisch aktiviert werden. In diesen Kontext sind auch die Reichskleinodien einzuordnen, die in Teilen als besondere Objekte in den Ausstellungen Deutsches Volk – Deutsche Arbeit und 1941 auch in einer anderen Großausstellung Deutsche Größe gezeigt wurden. Die historisch begründete Aura dieser Objekte wurde von den Nationalsozialisten genutzt und umgedeutet. Dabei spielte natürlich weniger die bei der traditionellen Krönung zum Tragen kommende religiöse Komponente eine Rolle, sondern die Herstellung einer „geschlossenen Volksgemeinschaft“. Die Reichsinsignien sollten diese heraufbeschwören. Es sollte durch die Objekte eine Parallele zwischen der nationalsozialistischen Herrschaft und dem deutschen Kaisertum gezeigt werden.

Bei einer Betrachtung der überlieferten Quellen zu der hier untersuchten Ausstellung, d.h. den Katalogen, den Reden, den Fotografien und Skizzen ist augenscheinlich, dass die Objektgruppe der Insignien und der Begriff des mittelalterlichen „Reiches“ eine zentrale Stellung in der Ausstellungskonzeption einnahmen.

 

 

 

Katharina Höntges, Museum in der Kaiserpfalz

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