Heute vor 45 Jahren. Das Germanengehöft brennt nieder
Am Nachmittag des 27. Februars 1974 wurde die Feuerwehr aus Oerlinghausen und Helpup zu einem Großeinsatz gerufen. Die Löschzüge waren nur wenige Minuten nachdem um 15.20 Uhr der Sirenenalarm ausgelöst wurde vor Ort im Freilichtmuseum. Sie kamen dennoch zu spät: Das damals so genannte „Germanengehöft“ stand zu diesem Zeitpunkt bereits in hellen Flammen. Zu allem Unglück gab der erste angezapfte Hydrant kein Wasser, beim zweiten platzte der Schlauch, der jedoch schnell ausgewechselt war. Sämtliche fünf Häuser waren nicht mehr zu retten. Lediglich das Kassenhäuschen und die angrenzende Ausstellungshalle konnten noch vor einem Übergreifen des Feuers bewahrt werden. Ein Großteil des Inventars retteten noch vor dem Löscheinsatz zwei beherzte Oerlinghauser Bürger. Auch beim Löschen halfen Anwohner selbstlos mit, allen voran Schreinermeister Paul Lange.
Zunächst war die Brandursache unklar, aber bereits nach einem Tag meldeten sich zwei Schüler bei der Polizei, zwei ehrenamtliche Helfer des Betriebes. Nach ihren später von Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendschöffengericht übernommenen Angaben entstand der Brand so: Sie nutzten den Winterschlaf des Museums zum Spielen im Ziegenstall. Dort hatten sie gegen die Kälte den Boden mit Stroh ausgelegt. Dazu benötigten sie Licht, fanden aber kein Petroleum für die Lampe. Als Ersatzbrennstoff nahmen sie Benzin, das beim Entzünden in der Lampe explodierte und zu einer Kettenreaktion mit dem Stroh führte. Die beiden kamen mit dem Schrecken davon.
Dies ist das amtliche Ergebnis. Ganz anders sah der Ideengeber des Germanengehöfts den Hergang: Hans Reinerth, der Direktor des Pfahlbaumuseums Unteruhldingen am Bodensee, erfuhr nur durch die Presse von dem Ereignis. Sein Umfeld reagierte dennoch schnell: Elisabeth Heinsius, eine Schülerin Reinerths, sollte in den Brandruinen unabhängig recherchieren. Bereits am Wochenende nach dem Großbrand reiste sie von Lübeck an und logierte sich für drei Tage in der Bergstadt ein, um Zeugen zu befragen und den Befund zu dokumentieren. Die promovierte Archäologin fertigte einen detaillierten, zwölfseitigen Bericht mit 91 Beweisfotos an. Sie musste sich dafür unter die zahlreichen Katastrophentouristen mischen, die in den Tagen nach dem Brand durch Lücken im Zaun in die Anlage geschlüpft waren. Die Heimlichkeit war angeblich deshalb nötig, weil sich die Mitarbeiter des Museums ihr gegenüber nicht offen zeigten. Ihr Ergebnis: Es war eher eine bewusste Brandstiftung mit unterschiedlichen Brandherden. Überzeugende Beweise für ihre These konnte sie allerdings nicht vorlegen. Vielmehr saß sie diversen Fehlinformationen auf, etwa zur Lokalisierung des ursprünglichen Brandherdes. Hintergrund war ein seit über einem Jahrzehnt schwelender Rechtsstreit Reinerths mit dem Oerlinghauser Vereinsvorstand um Befugnisse, Geld und Deutungsmacht. Im Falle eines Neustartes wollte man aus einer möglichst guten Position heraus agieren. Oder wenigstens: Überhaupt im Spiel bleiben. Deshalb sollte das Heft des Handelns in die Hand genommen werden. Bis Mitte 1975 dauerten die durchaus gutwillig geführten Verhandlungen mit Hans Reinerth noch an. Als trotz diverser Ultimaten immer noch kein handfestes Konzept kam, zog man die Reißleine. Parallel wurde beim Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz angefragt, ob von dort eine wissenschaftliche Betreuung möglich wäre.
Die Betreiber des Museums erklärten kurz nach dem Brand, dass sie die Anlage in vier Wochen wieder aufbauen würden. Das hieße, bis zum Saisonbeginn im April. Aus diesen vier Wochen sollten Jahre werden. Denn anders als bei der Strafverfolgung sah sich bei der Unterstützung unseres Museums niemand in der Pflicht. Dabei hatte die Anlage seit ihrer Neueröffnung im Mai 1961 über 600.000 Menschen angezogen und war damit nach dem Hermann und den Externsteinen die drittgrößte touristische Destination Lippes in den goldenen Sechzigern. Für den Museumsgründer Hermann Diekmann war der Kollaps der Anlage ein existenzieller Schlag. Zwei Tage nach dem Großbrand zitierte die Presse den damals 83-Jährigen mit den Worten: „Jetzt kann ich noch nicht hingehen. Es würde mir das Herz brechen“. Wenige Wochen danach starb er. Es liegt nahe, dass ihm dieser Tiefschlag den Lebenswillen genommen hat.
Damit wäre unsere Geschichte eigentlich im Kern erzählt. Wenn sie nicht ein Nachspiel gehabt hätte. Denn der Brand in Oerlinghausen zog eine kleine Serie von Brandstiftungen an vergleichbaren Objekten nach sich. Und diese Ereignisse waren nicht mehr auf spielende Kinder zurückzuführen. 1975 ging das Haus des Künstlers Wilhelm Petersen durch Brandstiftung in Flammen auf. Petersen war der bekannteste Germanenmaler im Nationalsozialismus. Für unser Museum lieferte er 1961 eine Germanenzeichnung für den Briefkopf. Und mit Unteruhldingen war er eng verbunden. Bei dem Großbrand wurden zwei Drittel seines grafischen Werkes zerstört. Das Feuer wurde ausgerechnet an dem Tag gelegt, als Petersen den renommierten Friedrich-Hebbel-Preis bekam.
Am Ostersamstag 1976 brannten schließlich die bronzezeitlichen Pfahlbauten in Unteruhldingen komplett ab. Ein zwei Jahrzehnte später aufgetauchter Super 8 – Film eines Touristen zeigt deutlich, wie der Brandstifter mit auf das Reetdach gespritztem Benzin das Feuer entfacht. Sogar das Behältnis für das Benzin fand die Feuerwehr nach dem Löschen. Der Brandherd war geschickt platziert - an der am wenigsten einsehbaren Stelle des Baukomplexes. Die abgehobene Bauweise sorgte für einen enormen Sog, was in diesem ungewöhnlich heißen und trockenen Frühjahr das Inferno beschleunigte. Das Feuer wurde auf einer weit im Bodensee liegenden Plattform gelegt, die nur durch zwei schmale Holzstege mit dem Festland verbunden war: Eine Menschenfalle, wenn Panik ausbricht. Glücklicherweise kam trotzdem niemand zu Schaden, alle Gäste gelangten ans rettende Ufer. Es benötigt schon ein großes Maß an Brutalität, eine solche Aktion mitten im Ostergeschäft in einem Anlaufpunkt des Massentourismus durchzuziehen.
Heute würde man, wenn eine politische Intention dahinter nachweisbar ist, von einem Terrorakt sprechen. Tatsächlich machte die Schwäbische Zeitung „linksradikale Jugendliche“ für den Brand verantwortlich. Wollte man die Pfahlbauten heiß entnazifizieren? Konkrete Belege dafür gibt es keine. Die These hat auch aus anderer Perspektive wenig Substanz, der linke Diskurs der 1970er-Jahre ging kaum um Geschichtspolitik. Ein Attentat ohne Bekennerschreiben passt auch nicht zum Muster der Maxime der „Propaganda der Tat“. Zudem dürfte man auch schon damals geahnt haben, dass viele der archäologischen Gegner Hans Reinerths eine vergleichbar belastete nationalsozialistische Vergangenheit hatten wie er. Wieso sollte man ein derart hohes persönliches Risiko eingehen, wenn man damit keine klaren politischen Ziele erreicht? Ebenso wenig konkrete Indizien gibt es für eine extrem rechte Urheberschaft, etwa aus dem Umfeld der so genannten „Aktionsgruppen“, die in den frühen 1970ern mit der alten Rechten konkurrierten. Denn es gab 1976 noch weitere Brandattentate bei der extremen Rechten: In der Nacht vom 14. Auf den 15. Juli brannte das Anwesen des Adjutanten Heinrich Himmlers, Joachim Peiper, nieder. Im Brandschutt fand man seine Leiche mit einer Kugel in der Brust. Der Tatort Traves liegt im Dreiländereck Deutschland/Frankreich/Schweiz. Und ebenfalls 1976 gab es einen folgenreichen Brandanschlag auf den Wiking-Hof des damaligen Rechtsterroristen Uwe Rohwer in Doerpstedt (Schleswig-Holstein). Ob es Verbindungslinien zu diesen eindeutig politischen Taten gibt, ist völlig unklar.
Aber zurück zu den Bränden in Unteruhldingen und bei Wilhelm Petersen: Ein einfacher Pyromane hätte in beiden Fällen versteckter gehandelt. Symbolträchtig wählte man bei Petersen den Tag der Friedrich-Hebbel-Preisverleihung. In Oerlinghausen und Unteruhldingen fand die Brandstiftung zu Beginn der Saison statt, dem für die Geschädigten ungünstigsten Zeitpunkt. Dass die drei Tatorte im damaligen Westdeutschland denkbar weit auseinander lagen, spricht ebenfalls gegen spontane, willkürliche Aktionen eines lokalen Pyromanen. Falls es also überhaupt einen Zusammenhang zwischen den Ereignissen gibt, möchte ich abschließend folgende These aufstellen: Im Frühjahr 1974 ereignete sich in Oerlinghausen ein Unfall, der zu echten Brandstiftungen im Frühjahr 1975 und Frühjahr 1976 inspirierte. Denn in dieser Zeit bestand der Eindruck, dass sich die Oerlinghauser Anlage von diesem Schlag nicht mehr erholt. Unkenrufe, dass der Brand nun endlich das Ende des Germanengehöfts bedeuten würde, gab es zu Hauf. Gerade beim 76jährigen Hans Reinerth hatte es aufgrund seines unglücklichen Agierens in Oerlinghausen den Anschein, dass er nun den Wiederaufbau seiner eigenen Pfahlbauten nicht mehr schaffen würde. Auch Teile der Presse schossen sich – statt Mitgefühl zu zeigen – nach dem Unteruhldinger Brand auf Hans Reinerth ein, etwa die „Zeit“ vom 21. 5. 1976. Diese Rechnung ging jedoch nicht auf: Die bronzezeitlichen Pfahlbauten wurden sehr zügig neu aufgebaut. Der Publizitätsschub durch den Brand führte in Unteruhldingen zu einem Anstieg der Besucherzahlen von 180.000 im Jahr 1975 auf 250.000 im Jahr 1976. Die Jahresbesuche blieben über zwanzig Jahre hinweg auf diesem 250.000er-Plateau, einfach weil die Aufnahmekapazität der Anlage damit erreicht war. Erst ab 1996 konnten die Zahlen vor allem durch eine Änderung des Führungssystems weiter gesteigert werden. Und in Oerlinghausen begann 1979 mit Unterstützung von Stadt und Landesverband ein fulminanter Neustart mit einem für die Bundesrepublik neuartigen prähistorischen Freilichtmuseumskonzept.
Karl Banghard
Die Gerichts- und Polizeiakten zum Museumsbrand finden sich im Landesarchiv NRW, Detmold D 21 B Nr. 4971.
Umfangreiche Korrespondenz zu dem Vorgang lagert im Pfahlbaumuseum Unteruhldingen (Mappe Museumsbrand 27. 4. 1974) und in unserem Archiv.
Herzlichen Dank an Prof. Gunter Schöbel, den Direktor des Pfahlbaumuseums, für die Gewährung zur Einsichtnahme in den Unteruhldinger Aktenbestand und die fruchtbare Diskussion. Dr. Annette Frey und Constanze Berbüsse M. A. vom Archiv des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz suchten erfolgreich die Stecknadel im Heuhaufen, nämlich die noch nicht inventarisierte Korrespondenz unseres Vereins mit dem RGZM. Für ihre Gründlichkeit bin ich ihnen sehr dankbar. Wertvolle Hinweise gab schließlich Paul Lange aus Oerlinghausen.
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