Frühgeschichte in extrem rechten Comics, Teil 3
Karl Martell (2018)
Krumme Jubiläen schützen nicht vor bedeutungsschwangeren Jubiläumsfeiern. So auch 2012, als sich zum 1280sten Mal die Schlacht bei Tours und Poitiers jährte. Dort schlug Karl Martell im Jahr 732 ein muslimisches Heer. Am 20. Oktober 2012 besetzten deshalb rund 80 Aktivisten der „Géneration Identitaire“ medienwirksam den Rohbau einer Großmoschee an historischer Stätte – dem westfranzösischen Poitiers. Diese Aktion gilt allgemein als Geburtsstunde der extrem rechten identitären Bewegung. Der eigentliche Jahrestag der Schlacht kann übrigens nicht der 20. Oktober gewesen sein, denn dieser fiel 732 auf einen Montag. Die Quellen sagen aber, dass die Heere an einem Samstag im Oktober aufeinandergestoßen sind. Solche Details störten anscheinend weder die Identitären noch die zahlreich zum Event erschienenen Medien. 732 wie 2012, so die Selbstvergeschichtlichung der Gruppe, wurde in Poitiers das Fanal gegen die Islamisierung Europas gesetzt. Wie die konkrete Geschichte zeigt, war die vollmundige Ankündigung nicht von großer Wirkung: Heute ist die identitäre Bewegung bedeutungslos. Ebenso wie der Anspruch, eine komplette Generation zu vertreten.
Dem rechten Livestylemagazin Arcadi war ebenfalls nur eine kurze Zeit gegönnt. Arcadi schwankte in seinen unpolitischen Inhalten zwischen Heimatland Lippe und Metal Hammer. Vielleicht war dieses Angebot selbst für die wandlungsfreudigen Identitären zu unspezifisch. Ihrem Milieu stand das Magazin jedenfalls nahe. Deshalb wundert es nicht, dass in der zweiten Ausgabe des Arcadi-Jahrgangs 2018 ein Comic über die Schlacht von Tours und Poitiers abgedruckt wurde. Angekündigt wurde der Comic bereits auf dem Cover (Abb. 1), ein Zeichen für die symbolische Bedeutung der Schlacht für die Szene. Die Story bildet lediglich etwas müde eine Kurzversion der Schlacht ab, eine halbwegs raffinierte Erzählung sucht man vergebens. Aufhalten möchte ich mich auch nicht bei der völlig unzulänglichen Darstellung der spätmerowingischen Sachkultur. Der Wille, auch nur ansatzweise eine authentische Ausstattung abzubilden, schien beim Zeichnen völlig zu fehlen. Und das, obwohl sich die Story stumpf auf den vermeintlichen historischen Ablauf beschränkt. Dabei hätte schon ein schlichter Zuckerhutschildbuckel genügt, um die archäologisch schlagenden Herzen zu versöhnen. Natürlich war Tours und Poitiers auch nicht die frühmittelalterliche Entscheidungsschlacht gegen den Islam (dazu wurde sie erst im 19. Jahrhundert gemacht), sondern lediglich eine Strafexpedition gegen eine Strafexpedition. Muslime begannen im Verlauf des 8. Jahrhunderts erst richtig in Aquitanien und der Provence zu siedeln, das zeigen unter anderem die Grabfunde. Dass Südfrankreich nicht ins Umayyadenkalifat eingegliedert wurde, liegt eher an einer neuen geopolitischen Perspektive des Kalifats. Mit der Dynastie der Abbasiden (ab 750) verschob sich der infrastrukturelle, wirtschaftliche, kulturelle und politische Schwerpunkt des Großreiches nach Osten, Europa geriet ins Abseits. Das globale Fernhandelsnetz driftete entsprechend nach Osten. Die Rhône-Saône-Rhein Schiene verlor in dieser Zeit an Bedeutung, die Wolgaroute profitierte davon. Das ist – nebenbei bemerkt – einer der Gründe für den Aufstieg der Kiewer Rus. In diesem Rahmen wurden auch die spanischen Umayyaden immer mehr vom Kalifat abgekoppelt.
Interessant ist, woher das Arcadi-Comic seine Anregungen geholt hat. Ein Anhaltspunkt dafür könnten die skurrilen Schilde im Comic sein (Abb. 2). Sie sind durch seltsame Metallstreifen verstärkt, die quer zu den Planken und am Schildrand verlaufen. Woher diese Rekonstruktion eines spätmerowingerzeitlichen Schildes kommt, ist mir nicht ganz klar. Möglicherweise geht sie auf eine Fehlinterpretation eines Schildes zurück, das 1880 im norwegischen Gokstadschiff entdeckt wurde. Dieses Schild aus dem späten 9. Jahrhundert war lange Zeit das Urbild für ein Wikingerschild. Um den brüchigen Fund überhaupt präsentieren zu können, haben die Restauratoren (also nicht die Wikinger!) auf der Rückseite drei Metallstreben sowie einen rundumlaufenden Flansch angebracht. Die moderne Aufhängevorrichtung wurde von manchen Wikingerdarstellern als frühmittelalterliches Original missverstanden. Dabei wanderten die Streifen von der Schildinnen- auf die Schildaußenseite. In schlecht sortierten Wikingershops kann man so etwas bis heute erwerben. Vielleicht gehen die Metallstreifen auch auf die weitaus jüngere Lieder-Edda zurück, in der Schilde beschrieben werden, die durch drei Metallstreifen fixiert sind.
Genau dieselben absonderlichen Schilde in genau demselben Kontext (Schlacht von Tours und Poitiers) tauchen in einer großen ARD/Phoenix-Dokumentation auf (Abb. 3). Das öffentlich-rechtliche Histotainment Was wäre wenn der Islam Europa erobert hätte? wurde 2017 ausgestrahlt. Also wenige Monate vor der Publikation des Arcadi-Comics. Es ist demnach sehr wahrscheinlich, dass die Bilder aus dem Film den Comiczeichner angeregt haben. Manche Comicsequenzen wirken wie Blaupausen der Reenactmentszenen. Im Film wird darüber spekuliert, wie Europa jetzt aussähe, wenn es im Frühmittelalter islamisch geworden wäre. Die dabei aufgezeigten Szenarien können wie Trigger wirken: Ausgerechnet der Kölner Dom, seit der Sylvesternacht 2015 ein Kristallisationspunkt für Überfremdungsängste, wird in der Computeranimation durch eine große Moschee ersetzt. Er steht in einem Emirat „Frankistan“ (klingt das nicht wie Frankenstein?). Wie üblich kontrastieren im Film die Interviews seröser Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit weitaus impressiveren, manipulativen Reenactmentszenen. Dadurch drehen sich manche Aussagen aus der Forschung (bei denen viele eh nicht so richtig zuhören) im Unterbewusstsein in ihr glattes Gegenteil. Unabhängig von der Frage, inwieweit extrem rechte Geschichtspolitik Einfluss auf Massenmedien hat, sollte man sich die Gewalt dieser Bilder immer wieder bewusst machen. Denn die Illustration hat in diesen Medien die Wissenschaft schon längst überholt.
Herzlichen Dank an den Verein Argumente & Kultur in Bielefeld für die Hilfe!
Dokumentarfilm in der ARD-Mediathek:
Dokumentationen: Was wäre, wenn... der Islam Europa erobert hätte? | ARD Mediathek
Kommentare
Der Wortschöpfung "Frankistan" geht auf den rechtsextremen Geschichtsphilosophen Oswald Spengler zurück. Zum Vergleich das entsprechende Zitat aus "Der Untergang des Abendlandes":
"Der Ausgang würde den Folgen der Schlacht von Tours und Poitiers 732 vergleichbar sein, wenn dort die Araber gesiegt und »Frankistan« zu einem Kalifat des Nordostens gemacht hätten. Arabische Sprache, Religion und Gesellschaft wären in einer herrschenden Schicht heimisch geworden, Riesenstädte wie Granada und Kairuan wären an Loire und Rhein entstanden, das gotische Gefühl wäre gezwungen worden, sich in den längst erstarrten Formen von Moschee und Arabeske auszudrücken und statt der deutschen Mystik besäßen wir eine Art von Sufismus. Daß das Entsprechende in der arabischen Welt wirklich geschah, war die Folge davon, daß die syrisch-persische Bevölkerung keinen Karl Martell hervorgebracht hat, der mit Mithridates Brutus und Cassius oder Antonius und über sie hinaus Rom bekämpfte."
http://www.zeno.org/Philosophie/M/Spengler,+Oswald/Der+Untergang+des+Abendlandes/Zweiter+Band%3A+Welthistorische+Perspektiven/3.+Kapitel%3A+Probleme+der+arabischen+Kultur/1.+Historische+Pseudomorphosen/2.
In der WDR-Dokumentation spricht der "kontrafaktische" Althistoriker Alexander Demandt, Ehrenpräsident der rechtsextremen Denkfabrik Oswald-Spengler-Society.
Rechte Propaganda im WDR?
Es ist immer eine Bereicherung,Ihre Veröffentlichungen zu lesen, lieber Herr Banghard. In Lippe trifft man immer wieder auf befremdliche Darstellungen und Meinungen. Da helfen Ihre Argumentationen und Fakten immer ein Stück weiter. Bekehren kann man diese Menschen nicht,aber Ihnen die Argumente nehmen. Nochmals, herzlichen Dank!