Freier Museumseintritt = soziale Gerechtigkeit?

Momentan diskutieren die großen staatlichen Museen im Schatten der Coronakrise intensiv, keine Eintritte mehr zu erheben. Museen in freier Trägerschaft bleiben in dieser Diskussion weitgehend unberücksichtigt. Ein Vorreiter dieser Debatte war das British Museum, das bereits seit etlichen Generationen einen Zickzackkurs bei den Eintrittspreisen fährt: Mal mit, mal ohne, aber stets ohne bahnbrechende Unterschiede bei den Besuchszahlen. In Nordrhein-Westfalen hatte eine Aktion der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung Initialwirkung, die seit 2015 dem Essener Museum Folkwang durch großzügige Förderung freie Eintritte ermöglicht. Seitdem haben sich die Besuchszahlen verdreifacht, wird behauptet. Das Stiftungsengagement wurde in den Medien unisono als noble Sozialleistung gewertet.

Ist es das? Es sind im Wesentlichen die Dauerbesucherinnen und -besucher, die von freien Eintritten profitieren. Denn der Anreiz zum spontanen Vorbeischauen - etwa beim Shopping - steigt. Neue Kundschaft gewinnt man damit aber kaum. Investiert wird also in die Wenigen, die ohnehin kommen. Die restlichen Zugewinne sind nach den meisten Besucheranalysen Strohfeuer, die nach kurzer Zeit wieder abklingen.

Die Museen in freier Trägerschaft können dabei nicht ohne weiteres mitziehen. Auch die von den Kommunen geführten Häuser – in Deutschland sind das stattliche 39 Prozent aller Museen – haben keinen freien Entscheidungsspielraum beim Verzicht auf Entgelte und Gebühren. In unserem Bundesland regelt das § 77 GO NRW.

Schulen für lau

Ein Fallbeispiel: Der Landschaftsausschuss des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe beschloss am 5.10.2018, die Eintrittsgelder für Kinder und Jugendliche abzuschaffen. Zusätzlich wurde eine sechsstellige Summe zur Verfügung gestellt, um Busse für die Schulklassen zu bezahlen. Für Lehrerinnen und Lehrer ist das ein atemberaubendes Rundum-Sorglos-Paket.

In den vorberatenden Ausschüssen war die Vorlage dazu recht glatt durchgelaufen. Zwei Jahre zuvor hatten CDU und SPD dies noch abgelehnt. Nur die FDP-FW-Fraktion reagierte leicht kritisch. Sie stimmte zwar ebenfalls zu, forderte allerdings eine Evaluation, was dann auch so beschlossen worden ist. Die Konsequenzen wurden in den Fraktionen teilweise sehr kontrovers diskutiert. Auch den Kritikerinnen und Kritikern war klar, dass ihre jeweilige Partei Sympathiepunkte verliert, wenn sie dagegen stimmt. Es ist schließlich eine fatale Außenwirkung, wenn die Medien verkünden, alle wollen freien Eintritt für Kinder, nur die Partei X nicht. Letztlich würden die Argumente nicht wahrgenommen, sondern die Emotionen: Kinder, Bildung, Gerechtigkeit. Und das weiß natürlich jeder Politprofi.

Der Impuls führte zu einem folgenreichen Subventionsstrudel bei Museen in den westfälischen Großstädten und des Landesverbandes Lippe. Dort, wo es möglich war, wurden ebenfalls Eintritte für junge Menschen abgeschafft. Für unseren Betrieb bedeutete das einen schmerzhaften und abrupten Einschnitt bei den Buchungen der konventionellen museumspädagogischen Programme. Wir konnten das finanziell halbwegs ausgleichen, da in der Folge teurere, exklusivere Programme intensiver nachgefragt wurden. Die Evaluation bei den Institutionen mit freiem Eintritt bewegt sich in einer breiten Grauzone, da sich nur zählbare Museumseintritte in den Wirtschaftsplänen spiegeln. Freie Eintritte wurden seit je her für die Simulation astronomischer Besucherzahlen genutzt, das gehört für Viele zum Einmaleins des Museumsmanagements. Möglicherweise liegt es vielerorts auch am Angebot oder an einem übersättigten Markt und nicht an den Preisen, dass bei manchen hochsubventionierten Museen die Schülerzahlen fallen, sie aber woanders steigen.

Ein simpler, nie richtig diskutierter Lösungsvorschlag wäre: Wieso gibt man das Geld nicht den Schulen, damit die Abnehmerseite frei entscheiden kann - und nicht die Anbieterseite? So funktioniert jeder gesunde Markt, Innovationsanreize und eine halbwegs faire Wettbewerbssituation wären gewährleistet. Und sozialer wäre es obendrein: In der Regel buchen ja die höheren Schulen kostenlose Museumsprogramme, die eigentlich für die Bildungsbenachteiligten da sind. Denn so manche Gesamtschule traut sich nicht in die Musentempel. Nichtbürgerliche Kinder fallen dort nach wie vor auf. Vielerorts wird ihnen immer noch unterschwellig gezeigt, wo ihr Platz in der Gesellschaft ist: Durch die bombastische Architektur, durch das uniformierte Wachpersonal, durch eine Museumspädagogik, die an ihrer Lebenswirklichkeit vorbeigeht.

Museen, die ihre Eintritte fremdfinanziert bekommen, schlagen unterschiedliche Fliegen mit einer Klappe:

- die Eliminierung von Mitbewerbern, die an den Eintritt gebunden sind,
- eine von Rückmeldungen aus der Bevölkerung entkoppelte inhaltliche Arbeit,
- eine von inhaltlichen Innovationen unabhängige, "geschenkte" Steigerung der Besucherzahlen und nicht zuletzt
- eine Image der sozialen Kultureinrichtung, das die vorigen drei Punkte verschleiert.

In Kauf genommen wird dabei, dass:

- der Wert von Bildung weiter in der öffentlichen Wahrnehmung sinken wird (was nichts kostet, ist auch nichts wert),
- sich ohne Wettbewerb die Innovationsgeschwindigkeit in der Vermittlung drastisch verlangsamen wird,
- die für Deutschland so typische Vielfalt der Kulturlandschaft weitgehend durch verwaltungsmäßig durchstrukturierte Monotonie ersetzt wird,
- sich unsere Kulturlandschaft weiter hierarchisiert,
- die Unwucht in der sozialen Verteilung des Bildungsangebotes nicht ausgeglichen wird. Denn nur durch freien Eintritt sind noch lange keine neuen Besuchergruppen erschlossen.

Aufklärung ohne Aufzuklärende

Museen geht es in erster Linie um Aufklärung. Dass wir heute weit entfernt sind von der Befreiung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit im Sinn Immanuel Kants, ist wohl allen klar. Allein deshalb ist es abstrus, den zweiten Schritt (also die Öffnung der Museumstüren durch freien Eintritt) vor dem ersten Schritt (der Beseitigung der sozialen Zäune um die Museen) zu machen. „Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“ (Kant 1784), heißt es weiter im Schlüsseltext der Aufklärung. Sagt der Staat den Schülern durch die Kanalisierung des Angebotes, wohin sie gehen sollen und wohin nicht, wird die Möglichkeit der freien Entscheidung im Keim erstickt. Und stellt ein Staat seinen weniger gebildeten Bürgerinnen und Bürgern die Muse der Museen einfach frei, im vollen Bewusstsein, dass ihnen die Voraussetzungen dafür fehlen, führt er sie lediglich vor. Das allerdings gründlich und brutal.
Nach wie vor muss es deshalb primäres Ziel der Museumsarbeit sein, die Schwellen abzubauen, ohne dabei die Inhalte aufzugeben. Es war ein kulturpolitischer Fehler der Weimarer Republik, in die verstaatlichten Repräsentationsgebäude des Adels die Landesmuseen zu setzen. Anders als erwartet machten die Menschen einen großen Bogen um diese Gemäuer, in denen noch der Geruch der alten Macht haftete. Man konnte das damals nicht wissen, denn 1918 war Pierre Bourdieu noch nicht geboren. Doch heute, hundert Jahre später, dürften alle geisteswissenschaftlich Ausgebildeten wissen, dass angehäuftes kulturelles Kapital große Barrieren schafft. In Freilichtmuseen läuft das anders. Aber gerade von ihnen werden viele durch den aktuellen Subventionsdarwinismus zerrieben.

Entsolidarisierung der Museumslandschaft

Ausgerechnet die Museen mit dem Potential, alle zu erreichen, werden durch ein Förderprogramm mit dem Anspruch, allen zu dienen, in ihren wirtschaftlichen Grundlagen bedroht. Die Schere zwischen elitären- und populären Museen wird weiter auseinandergehen. Elitäre Institutionen haben in Coronazeiten kaum Einbußen gehabt, populäre haben ihre Haupteinnahmequellen verloren. Die Ausgleichsgelder werden dagegen vor allem den Großmuseen zufließen. Die einen werden durch die Subventionen immer stärker von den Bedürfnissen des Großteils der Bevölkerung entkoppelt, die anderen müssen sich ständig neu erfinden, um finanziell nicht unterzugehen. Das ist für beide nicht gut. Dabei könnten sich gerade jetzt die großen staatlichen Museen wieder an ihre beiden anderen Standbeine erinnern: Forschen und Bewahren. Die blieben bei vielen Institutionen in den letzten 30 Jahren bei der Hatz nach Besuchszahlen auf der Strecke. Bislang hatten sich populäre und elitäre Museen gegenseitig ergänzt, besonders wenn ein solidarisches Klima unter den Institutionen herrschte (wie beispielsweise hier in Ostwestfalen). Die Kulturlandschaft hat durch diesen Austausch von Kompetenzen immer gewonnen. Eine solche Solidarität wird durch die Wettbewerbsverzerrung ohne Not einseitig aufgelöst. Dennoch: „Friede den Freilichthütten - Krieg den Museumspalästen“ wäre zwar ein zugkräftiger Slogan, kann aber nur die ultima ratio sein.

Besonders sexy werden wir jedenfalls durch freie Eintritte alle nicht: Auch in Deutschland gibt es – das wird gerne übersehen – bereits jetzt ungemein viele Museen mit freiem Eintritt. In Ostdeutschland sind es 18 Prozent der Häuser, im Westen sogar 40 Prozent. Ob diese eintrittsfreien Betriebe auch die Besuchsmagneten sind, ist fraglich. Ich bin im Baden-Württemberg der 1980er-Jahre aufgewachsen, damals einem Land mit kostenlosem Eintritt bei den Landesmuseen. Aus dieser Zeit weiß ich, dass kostenfreie Museen für Jugendliche so ziemlich das Unattraktivste sind, was es gibt.

Freier Eintritt in Museen mit hohen Besuchszahlen müsste eine Aufgabe der Wirtschaftsförderung und nicht des ohnehin nicht üppig bemessenen Kulturbudgets sein. Denn einzig und allein die Tourismusindustrie profitiert von einer solchen Maßnahme. Hier wäre ein solcher Eingriff besonders absurd: Das Spiel von Angebot und Nachfrage funktioniert in diesen Betrieben hervorragend, Freilichtmuseen wie die Pfahlbauten Unteruhldingen werfen sogar Geld ab. Wieso also eingreifen? Es käme ja auch niemand auf die Idee, die Hotels kostenlos zu machen, um die Luftfahrt zu stärken. Ich möchte auch nicht wissen, wie die Reaktion der Juristen der eingangs erwähnten Firma Thyssenkrupp gewesen wäre, wenn wir Museen damit angefangen hätten, Kriegsgerät zu Dumpingpreisen herzustellen - und das alles staatlich zu hundert Prozent subventioniert.

Auf die Kulturpolitik können wir uns in dieser Debatte nicht verlassen. Die ist nicht für alle da. Unser Vorgang zeigt wie viele andere Vorgänge, dass es keinen kulturpolitischen Masterplan für einen gerechten Finanzierungsteppich der 6400 Museen in Deutschland gibt. Auch nicht für die 25 000 in Europa.

 

Literatur
Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? in: Berlinische Monatsschrift, Dezember 1784, 481-494.

 

 

Kommentare

Vielen Dank für diesen Einblick und die komplexen Betrachtungswinkel. Es wird sich wohl noch lange um eine Kontroverse handeln, bei der viele Seiten mit unterschiedlichsten Ansichten mitdiskutieren werden. Der hier vertretene Standpunkt wurde sehr gut dargelegt und hat einen Einfluss auf meine persönliche Meinung hierzu.

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