Ein langobardischer Thor?

Es wäre der Hammer. Dieses Steinrelief stammt aus einer Kirchengrabung in Novara in Piemont und wird gedeutet als Teil eines Ambos, eines erhöhten Ortes für die Lesungen der Liturgie. Durch die so genannte vielteilige Gürtelgarnitur lässt sich das Relief in das dritte Viertel des 7. Jahrhunderts datieren. Zwar erkennt man die Eisenbeschläge des Gürtels nicht, aber seine Komposition und vor allem die Breite der Riemen sprechen für diese Zeit. Solche Gürtel waren für ihre Träger etwas Besonderes. In Byzanz gehörten sie zur Beamtenkleidung. Nicht nur optisch, sondern auch akustisch machten sie auf ihre stolzen Besitzer aufmerksam, klimpern sie doch beim Laufen. Unser Relief ist eine der wenigen brauchbaren Darstellungen dieser eigentümlichen Kleidungsstücke.

Der langhaarige Mann auf dem Steinrelief hält einen Hammer in seiner Rechten. Eine solche Darstellung ist für die christliche Bildwelt ungewöhnlich. Der Eindruck einer Thorsdarstellung drängt sich auf, mit dem paradeartig präsentierten Hammer Mjöllnir und seinem Kraftgürtel Megingjard als hervorgehobene Attribute. Suggestiv mag  sogar der zottelige Gesamteindruck der Person für diese Deutung sprechen. Aus Perspektive der Schriftquellen wäre diese Interpretation nicht völlig abwegig, denn Thor/Donar ist in der Historia Langobardorum des Paulus Diaconus erwähnt. Die Frage, wieso ausgerechnet ein heidnischer Gott auf einem Ambo einer Kirche angebracht war, wird in der italienischen Forschung feinsinnig diskutiert.

Doch Heiden, nicht zu früh gefreut: Es gibt einen guten und nahezu zeitgleichen Vergleich zu unserem Relief aus der ostbyzantinischen  Kuppelkirche von Swartnoz. Dieser 643-652 errichtete monumentale Sakralbau thront in theatralischer Lage im Schatten des von ewigem Schnee bedeckten Ararat, an einer bedeutenden Fernstraße im tiefsten und fruchtbarsten Tal Armeniens. Ganz im Geist der warrior saints, die ein christliches Leitmotiv des 7. Jahrhunderts waren, ist die Kirche den "himmlischen Soldaten" – den Engeln – geweiht. Der Katholikos Nerses III. verlegte hierhin seinen Amtssitz, neben der Kathedrale wurde sein Palast ausgegraben. In sechs Kapitellen der Kirche findet sich sein Monogramm, die Erbauungszeit ist durch zahlreiche Schriftquellen gesichert.

Als ich die aufgelassene Grabungsstätte dieser Kirche in Armenien das erste Mal sah, blieb mir die Spucke weg. Denn die Fundamentstärken können es mit den Fundamenten so mancher großer gotischer Kathedrale in Europa aufnehmen. Der Sockel, auf dem der Rundbau ruhte, hatte einen Durchmesser von 33,57 Metern (der des römischen Pantheons hat nur etwas mehr: 43,3 Meter). Armenische Architekten berechneten – vielleicht auch etwas in nationalem Überschwang – die Höhe der Kirche auf 36-45 Meter. Aber selbst, wenn das zu hoch gegriffen ist, handelt es sich um einen der monumentalsten Bauten des 7. Jahrhunderts, knapp hinter einigen Mayatempeln Südamerikas.

Bereits im 10. Jahrhundert standen in Swartnoz nur noch Ruinen. Erst Grabungen von 1901-1905 brachten einen kleinen Teil der ehemaligen Pracht wieder ans Licht. Heute liegt ein Teil der hervorragenden Steinmetzarbeiten einfach auf der ehemaligen Grabungsfläche herum, ein anderer Teil wurde ins Archäologische Museum Eriwan verbracht. Für uns interessant sind dabei 28 sicher bauzeitliche Handwerkerreliefs, die an den Zwickeln der Außenarkaden angebracht waren. Manche davon liegen heute recht unbeachtet im Ruinenfeld. Andere Figuren scheinen landwirtschaftliche Arbeitsbereiche zu personifizieren: unter anderem zur Bedeutung einer Figur mit einem Rebmesser streitet sich die armenische Forschung herzlich. Einen zentralen Stellenwert nimmt aber das Bauhandwerk ein.

Auch in Novara spricht die Form des Hammers für eine Steinmetzdarstellung. Spezialhämmer für Steinmetze aus der Merowingerzeit konnte Helmut Roth an Hand des Gräberfeldes von Fellbach-Schmieden identifizieren. Sie sehen unserem Hammer aus Novara sehr ähnlich. Das Werkzeug wird ja parademäßig emporgehalten, dabei kommt die Assoziation eines Standeszeichens auf. Auch der vielteilige Gürtel passt in dieses Bild: In Byzanz wurden solche Gürtel wie gesagt vornehmlich von Personen getragen, die öffentliche Ämter wahrnahmen. Und im 7. Jahrhundert kann man sich kaum ein öffentlicheres technisches Amt vorstellen, als das des Dombaumeisters.

In der Zeit zwischen 640 und 680 scheint es eine Generation von Handwerkern gegeben zu haben, die das Selbstbewusstsein hatte, sich im Kirchenraum zu verewigen. Das kommt sonst im Frühmittelalter nur sehr selten vor. Mit dieser "generation stonemason" im 7. Jahrhundert beanspruchten für kurze Zeit Angehörige der gesellschaftlichen Mittelschicht Sichtbarkeit im öffentlichen Raum. Das ist vielleicht historisch interessanter als der vermeintliche Nachweis eines heidnischen Gottes.

 

Karl Banghard
 

 

Literatur


Zum Steinrelief aus Novara
C. Giostra, I longobardi e le città: forme materiali e scelte culturali. Hortus Artium Medievalium 20/1, 2014, 48-62.

Zu Swardnoz als Einführung nach wie vor:
J. Strzygowski, Die Baukunst der Armenier und Europa (Wien 1918) 108-118.

Zur Feindatierung vielteiliger Gürtel aufgrund der Riemenbreite:
E. Stauch: Wenigumstadt: Ein Bestattungsplatz der Völkerwanderungszeit und des frühen Mittelalters im nördlichen Odenwaldvorland (Bonn 2004) 68-72.

Zu merowingerzeitlichen Steinmetzäxten (Steinmetzhämmern)
H. Roth, Ein Reihengräberfeld bei Fellbach-Schmiden, Rems-Murr-Kreis. Fundber. Baden- Württemberg 7, 1982, 491-540.

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