Eichelschnaps, ein Versuch


Triptolemos hieß der Kerl, der überall auf der Welt Getreide aussäte. Zuvor haben die Menschen Eicheln gegessen, sagt der frühchristliche Autor Philo von Alexandrien (De praemiis et poenia 8). Die Einführung von Weizen und Gerste brachte in dieser Heilsgeschichte eine milde und verträgliche Nahrung.
Die heidnische Literatur davor bewertet die Eichelnahrung ganz anders. Dort wird sie – zusammen mit den Früchten des Erdbeerbaumes – als Grundnahrungsmittel der mythischen Frühzeit angesehen. Eicheln galten als Hauptkalorienlieferanten des unbeschwerten Goldenen Zeitalters, bevor Demeter auf die Idee kam, das Getreide einzuführen. Die Früchte der Eiche machten also einen Imagewandel vom Manna der goldenen Vorzeit zum Heidenfraß durch.

Um das bittere Image der Eichel bekömmlicher zu machen haben wir einen Schnapsbrand aus ihnen angeregt. Schnaps fängt vorgeschichtliche Aromen ein, wir haben das schon bei den Früchten der Kornelkirsche und der Stechpalme ausprobiert. Mit dem Biolandbetrieb Ulrich Klinke aus Bad Wünnenberg konnten wir für unsere Schnapsidee einen experimentierfreudigen Brenner gewinnen. Verwendet wurden besonders bitterstoffarme Eicheln – im Oerlinghauser Stadtteil Helpup steht ein solcher Baum. Die Eicheln wurden geröstet und die Schale entfernt. In der anschließenden Maische wandelt sich die Stärke in Zucker um. Eigentlich ist das dieselbe Prozedur wie beim Biermaischen, nur dass die Gerste als Rohprodukt ein bisschen mehr Zucker aufweist. Damit ein echter Brand (ein aus der Maische erzeugter Schnaps) und kein Geist (einem Destillat aus in Alkohol eingeweichten Früchten) möglich ist, mussten noch Äpfel der Vergärung zugeschlagen werden. Das Ergebnis konnte sich durchaus sehen lassen: Ein weicher Schnaps mit hauchzarter, nussiger und tanniniger Note. Sozusagen ein sensorischer Spaziergang durchs Unterholz des Goldenen Zeitalters.

Über diese goldene Eichelfresserzeit wissen wir Dank Archäologie und antiker Schriftquellen recht gut Bescheid. Bereits vor 750.000 Jahren hat der Mensch Eicheln gesammelt, sie fanden sich in einer der unteren Schichten von Gesher Benot Yaaqov in Israel. Die aussagekräftigsten Befunde zum Eichelkonsum stammen aus dem Mittelmeergebiet. Dort werden noch heute – kei­neswegs nur aus Not – bitterstoffarme und süße Eicheln genossen. Häufiger geröstet, gelegentlich aber auch ungeröstet. In Spanien werden die Früchte der immergrünen Steineiche nicht nur an die Iberico-Schweine verfüttert, sondern auch selbst verzehrt. In Anatolienschätzt man die Aleppoeiche nicht nur wegen der entzündungshemmenden Wirkung der Galläpfel an den Blattunterseiten. Nach ausgiebigem Wässern sind auch ihre Eicheln genießbar. Und in den ausgedehnten mediterranen Flaumeichenwäldern werden nicht nur die besten Trüffel sondern immer wieder auch wohlschmeckende Eicheln gefunden. Ein leicht nussiges Aroma haben die Früchte der Mazedonischen Eiche. In Würdigung der zahlreichen antiken Quellen zur Eichelnahrung bekam sie den Namen quercus trojana.

 

 

Auch quercus ithaburensis und die im­mergüne quercus aucheri produzieren essbare Eicheln. Darüber hinaus kann man bei Arten mit bitteren Früchten immer wieder süßfrüchtige Varianten beobachten - und umgekehrt. Kein Wunder, dass Eichen früher häufig nach der Essbarkeit ihrer Früchte und nicht nach der botanischen Art klassifiziert wurden. Plinius unterteilt die Eichen dagegen mit definitorischem Eifer: Sommergrüne Arten wie Stiel- und Traubeneiche stehen immergrünen wie Stein- und Korkeiche gegenüber. Quercus frainetto trägt tatsächlich von den genannten die bitterstoffärmsten Früchte und war laut Plinius dem Zeus heilig. Er nennt sie aesculus.
In Westfalen gibt es zahlreiche archäologische Nachweise von Eicheln. Sie waren nicht nur Schweinefutter. Denn wer Schweine mit Eicheln mästet, schält und röstet sie nicht zuvor mühsam. Findet man also geschälte und geröstete Eicheln (was häufig geschieht), spricht dies für den Verzehr durch Menschen.

 

 

In Westfalen gibt es geschälte Eicheln bereits in endneolithischen Befunden, in der Bronzezeit nimmt ihre Zahl dann deutlich zu um dann in der vorrömischen Eisenzeit ihren Höhepunkt zu erreichen. Aus der Spätantike und dem frühen Mittelalter fehlen dagegen Nachweise komplett. Das eingangs erwähnte kulinarische Negativurteil des Philo von Alexandrien lag demnach im Trend der Zeit.
Erst wieder im Hochmittelalter scheint man wieder auf den Geschmack gekommen zu sein. Dann scheinen die Eicheln allerdings anders behandelt worden zu sein als in der Eisenzeit: Sie lagerten in charakteristischen, größeren Eichenkästen unter Wasser. Ungeschälte Eicheln wurden in zwei recht nahe beieinanderliegenden Fundstellen aus der Münsterländer Parklandschaft, in Steinfurt-Burgsteinfurt und in Metelen, nachgewiesen. Diese beiden Fundstellen datieren ins 10. und 11. Jahrhundert. Geschälte Eicheln hat man vor kurzem in  Dorsten (Kreis Recklinghausen) und in Bocholt entdeckt, sie gehören ins 11. und 12. Jahrhundert.

P. S.: Probiert Mal Bohnensuppe mit Eicheln. Die Eicheln machen die Bohnen bekömmlicher und nicht umgekehrt. Nervig ist nur das Schälen, vorheriges Einweichen hilft.

P.P.S.: Der Eichelschnaps war schon nach zwei Wochen vergriffen!

 

 

Literatur

S. Bergmann, Eicheln als Nahrungsmittel. Alltägliches Nahrungsmittel oder Indikator für Nahrungsknappheiten? In: F. Andraschko / B. Kraus / B. Meller (Hrsg.), Archäologie zwischen Befund und Rekonstruktion. Ansprache und Anschaulichkeit. Festschr. Renate Rolle), Hamburg 2007, 327-338.

H. Gems-Müller/ M. Müller, Langzeitlagerung von Eicheln mit einfachen Mitteln. In: www.baumzeitung.de (publiziert am 30.10.2020).

C. Grünewald, Der Westfale und seine Eicheln. In: A. Stobbe/U. Tegtmaier (Hrsg.), Verzweigungen. Eine Würdigung für A. J. Kalis und J. Meurers-Balke, Bonn 2012, 139-147.

J. Hausleiter, Der Vegetarismus in der Antike RVV XXIV. Register: Eicheln als Nahrung.

S. Karg/ J.-N. Haas, Indizien für den Gebrauch von mitteleuropäischen Eicheln als prähistorische Nahrungsressource. In: I. Campen/J. Hahn/M. Uerpmann (Hrsg.), Spuren der Jagd – Die Jagd nach Spuren. Festschr. H. Müller-Beck, Tübingen 1996, 429‑435.

C. Walde, Eiche. In: H. Cancik / H. Schneider, Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike Bd. 3, Stuttgart/Weimar 1997.

Die umfassendste Sammlung von Eichelfunden in der Vorgeschichte findet sich hier:
Old European culture: Acorns in archaeology

 

 

 

Kommentare

Hallo Herr Bonghard, das ist ein spannender Artikel. Weil wir gerne immer selber etwas herumexperimentieren, interessiert uns sehr die Frage, wo man in Helpup den erwähnten Eichenaum mit besonders bitterstoffarmen Eicheln findet. Sind sie frei zugänglich? Wir haben selbst auch Eichen auf unserem Grundstück in der Nähe und werden damit sonst mal beginnen... Viele Grüße E. Haefke

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