Der ungefegte Boden – eine ganz spezielle Art von Mosaik

Römische Mosaiken (Abb. 1) sind oft schön anzusehen und bieten auch immer wieder interessante Motive (vgl. Blog „Zum Essen kommt ein Skelett“). Von den vielen Mosaikkünstlern, die antike Bauten verschönert haben, ist in der zeitgenössischen Literatur nur ein einziger mit Namen erwähnt: Sosos, der in Pergamon zwei bemerkenswerte Mosaikbilder angefertigt hat. Der Meister und seine Werke sind in der Naturgeschichte bei Plinius dem Älteren (Naturgeschichte 36, 184, Übersetzung nach König) genannt. „Die Bodenmosaiken verdanken ihren Ursprung den Griechen, und sie wurden nach Art der Malerei kunstvoll ausgearbeitet, bis sie von farbigen Marmorfußböden verdrängt wurden. Der berühmteste (Künstler) in dieser Gattung war Sosos, der zu Pergamon den ‚ungefegten Raum‘ (oikos asarotos, griechisch ἀσάρωτος οἶκος) auslegte, den man so nennt, weil er die Essensabfälle auf den Estrichen und was man sonst wegzukehren pflegt, aus kleinen und verschiedenfarbigen Mosaiksteinchen nachgebildet hatte, als ob man sie liegengelassen hätte. Bemerkenswert ist dort eine Taube, die trinkt und das Wasser mit dem Schatten ihres Kopfes verdunkelt; andere sonnen sich, während sie sich auf dem Rand eines Gefäßes putzen.“

Sosos lebte wohl in der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts oder in der 1. Hälfte des 2. Jahrhunderts vor Christus. Seine Schaffenszeit liegt in der Zeit der letzten Könige von Pergamon, das im Jahr 133 v. Chr. in römische Hand kam. Eine ausgesprochen qualitätvolle Darstellung von Tauben am Rand eines großen silbernen Beckens mit Wasser (Abb. 2) wurde in der Villa des Kaisers Hadrian (regierte von 117-138 n. Chr.) bei Tibur in der Nähe von Rom gefunden. Vermutlich wurde das Mosaik aus einem Gebäude in Griechenland nach Italien gebracht. Es lässt sich aber nicht nachweisen, dass es das originale Taubenbild des Sosos ist.

Das zweite von Plinius erwähnte Mosaik ist nicht erhalten, doch haben sich in römischer Zeit Nachahmer gefunden. In den Vatikanischen Museen befindet sich ein solches Mosaik mit einem ‚ungefegten Boden‘, das ursprünglich den Fußboden eines Speisesaals geschmückt hat. Anders als Sosos ist der Hersteller zwar nicht in den römischen Schriftquellen erwähnt, doch hat er sein Werk signiert. So wissen wir, dass er Heraklitos hieß. Künstler wie Heraklitos arbeiteten selbstverständlich nicht allein, sondern hatten eine ganze Werkstatt. Schließlich musste schon bei der Vorbereitung jeder winzige Mosaikstein einzeln in der passenden Farbe aus Glas, Tonscherben oder Stein von Helfern angefertigt werden. Während normale Mosaizisten die einfacheren Teile herstellten, konnten sich die Meister auf die besonders kunstvoll gestalteten Einzelbilder (Emblemata) konzentrieren.

Auf dem ungefegten Boden des Heraklitos finden sich Fischskelette, Schnecken und Überreste von Geflügel (vgl. den Detailausschnitt Abb. 1), Teile von Meeresfrüchten wie Seeigelschalen oder Panzer von Krebstieren, aber auch Früchte wie Trauben. Etwas rätselhaft scheinen zunächst die länglichen, grünlich-bläulichen Gebilde mit einer hellen Mittellinie. Diese sind früher als Salatblätter interpretiert worden, doch handelt es sich nach neueren Forschungen um die unmittelbar vor dem Essen abgezogenen Häute von Fischen. Das so genannte Seitenlinienorgan zeichnet sich bei vielen Fischarten als Streifen auf der Haut ab, es dient den Tieren zur Orientierung.

Ein Asaroton sollte natürlich eine Einstellung des Auftraggebers zum Essen und zur Esskultur sichtbar machen. Vielleicht war sogar eine gewisse ironische Brechung beabsichtigt, denn in der Realität konnte der Schmutz natürlich so nicht dauerhaft liegen bleiben, wie es im Bild verewigt wurde. Wie bei guten Kunstwerken häufig, bieten auch die ungefegten Böden nicht nur Raum für einen eindimensionalen Denkansatz, sondern für mehrere unterschiedliche Gesichtspunkte.

Die Darstellung ist sehr qualitätvoll mit feinsten Details und Schattenwürfen, und die teuren Lebensmittel verdeutlichen das Ideal einer anspruchsvollen Küche. Sogar der Zeitpunkt der Handlung lässt sich erahnen: Offenbar wird gerade eine Essenspause eingelegt oder die Mahlzeit ist abgeschlossen, denn es traut sich eine vorwitzige Maus herbei, die eine Walnuss begehrt (Abb. 3). Die menschlichen Gäste hätten in dieser Situation die Möglichkeit gehabt, noch einmal die Überreste der guten Dinge zu besichtigen, die sie gerade verzehrt hatten.

Fußbodenmosaike konnten in der Antike, wie auch das Tafelgeschirr, einen Anlass für die Themen der Tischunterhaltung bieten. Die ‚ungefegten Böden‘ laden hier natürlich auch zum Entdecken, Raten und Vergleichen ein – welche Speisen wurden auf dem Mosaik dargestellt, welche gab es auch bei der aktuellen Mahlzeit, und was mag später noch Gutes aufgetragen werden?

Ein anderes Asaroton, dessen Schöpfer unbekannt bleibt, befindet sich im Archäologischen Museum in Aquileia. Auch dieses lag ursprünglich in einem Speisesaal. Der Ausschnitt (Abb. 4) zeigt links am unteren Rand eine apfelähnliche Frucht, unterhalb des Fischkopfes liegt ein geköpftes Ei. Vielleicht ist dies nur ein Zufall, doch dauerte eine römische Mahlzeit nach dem römischen Dichter Horaz (Satiren 1,3,6) sprichwörtlich „von den Eiern bis zu den Äpfeln“. Der kleine Tintenfisch wirkt fast lebendig, ein Zeichen für die Frische der dargestellten Lebensmittel.

Auf einem anderen Ausschnitt des Mosaiks aus Aquileia finden sich unter anderem Überreste einer Dorade und Haselnüsse (Abb. 5). Das gebogene, silbrige Utensil am oberen Bildrand ist ein Schöpflöffel, wie er zum Ausschenken von Getränken bei Tisch verwendet wird.

Die Abbildungen illustrieren einen kleinen Ausschnitt einer Mahlzeit, wie sie in einem reichen Haus zu besonderen Gelegenheiten stattfinden konnte. Auf jedem Speisesofa (Kline) konnten bis zu drei Personen liegen, in einer üblichen Anordnung standen drei dieser Klinen in U-Form im Speisesaal (Triklinium). Die meisten Speisen wurden mit den Fingern gegessen. Die nötige Reinlichkeit mit der Möglichkeit, sich die Hände zu waschen, gehörte zu einem gepflegten Essen unbedingt dazu.

Die Tische waren oft relativ klein und boten daher gerade genug Platz für das Speise- und Trinkgeschirr. Für uns heute wirkt es befremdlich, abgenagte Knochen oder Fischgräten einfach auf den Boden fallen zu lassen. Für eine antike Festgemeinschaft hatte dies jedoch den Vorteil, dass solche Abfälle nicht zurück zu den Esswaren auf den Tisch gelegt werden mussten. Auf Tellern und in Schüsseln befanden sich dann nur die appetitlichen Speisen. Der Kehricht störte die Gäste nicht weiter, denn liegend auf der Kline war die Verschmutzungsgefahr für ihre Füße und Kleidung verhältnismäßig gering. Zudem wurde, wie aus dem oben genannten Zitat des Plinius hervorgeht, die Böden zwischenzeitlich von Dienern gesäubert.

Auch im so genannten Gastmahl des Trimalchio, einer Satire des römischen Schriftstellers Petron (Satyricon 34) wird beschrieben, wie in der Zeit zwischen zwei Gängen der Boden gekehrt wird. In dieser Satire fällt übrigens auch versehentlich Silbergeschirr zu Boden, das auf Geheiß des karikierten, neureichen Besitzers nicht wieder aufgehoben, sondern mit dem Abfall herausgeschafft wird. Dies ist einerseits ein Seitenhieb auf die Attitüde des Trimalchio, der mit seinem Reichtum prahlt. Er kann es sich leisten, die besagte Schüssel so zu behandeln wie ein Exemplar aus Glas oder Ton, welches beim Sturz zerbrochen wäre. Der Schöpflöffel auf dem Mosaik in Aquileia lässt zusätzlich einen anderen Aspekt möglich erscheinen. Heruntergefallenes Geschirr konnte eventuell verschmutzt sein, es blieb daher besser zunächst liegen, um nicht versehentlich erneut benutzt zu werden. Ähnliches mag für herumliegende, intakt wirkende Früchte und andere unversehrt scheinende Lebensmittel gelten, die dennoch nicht aufgehoben wurden. Für den Verzehr an der gehobenen Tafel galten sie als nicht mehr geeignet, dies hätte dem gesellschaftlichen Lebensstil widersprochen. Abfälle sind kein üblicher Gegenstand der römischen Kunst, doch in der sorgfältig inszenierten Darstellung auf dem ‚ungefegten Boden‘ bieten die abgenagten Reste einen deutlichen Kontrast zu den nach dem Augenschein noch genießbaren Früchten. Eine solche Komposition kann die gepflegte Tischkultur in einem Haus betonen, dessen Besitzer es wichtig finden und es sich auch leisten können, auch nur potentiell verunreinigtes Essen zu verschmähen.

Innerhalb des sozialen Habitus einer kultivierten römischen Essgemeinschaft zeichnet sich somit eine räumliche und intellektuelle Trennung zwischen den zu verzehrenden Esswaren auf dem Tisch und den Speiseabfällen darunter ab. Was nicht mehr verzehrt wurde, landete auf dem Boden, und was erst einmal auf den Boden gefallen war, wurde nicht mehr verzehrt. Das Mosaik eines ungefegten Raums konnte nach dieser Überlegung also sogar einen der antiken Sauberkeitsstandards ins Bild setzen, auch wenn es für uns heute genau nach dem Gegenteil aussieht.

Die künstlerischen Darstellungen eines ‚ungefegten Bodens‘ haben ihren eigenen Reiz, vielleicht gerade deshalb, weil sie dem Anspruch, den viele moderne Menschen an ein gepflegtes Ambiente stellen, eben nicht entsprechen. Dieser Reiz führte auch zu Neuschöpfungen, von denen wenigstens eine vermutlich nicht unbedingt in lauterer Absicht gefertigt wurde. Ein Mosaik in Privatbesitz, das hier abschließend angesprochen wird, ist in der Forschung als Fälschung erkannt worden. Es befindet sich seit 2003 im Weinmuseum Château de Boudry in der Schweiz, soll nach der Homepage des Museums in die Spätantike datieren und aus dem östlichen Mittelmeerraum (Levante) stammen. Für eine genaue Beurteilung wäre die Untersuchung des Bodens vor Ort sowie seiner Erwerbungsgeschichte erforderlich, doch sind auch anhand von Abbildungen (Abb. 6) Beobachtungen möglich.

Das Schweizer Mosaik nimmt diverse Motive auf, die aus antiken Darstellungen und Originalfunden bekannt sind, die Schöpfer haben sich also sicher einschlägig informiert. Ein Fragment mit einem dunklen ‚ungefegten Boden‘ befindet sich im Nationalmuseum von Bardo in Tunesien (Abb. 7). Das Interieur bildet auf der Darstellung in der Schweiz kein Triklinium ab, sondern ist Bildprogrammen von Mahlzeiten mit halbkreisförmigem Liegesofa (Stibadium) entnommen. Solche Stibadia sind in Abbildungen etwa auf Sarkophagen, in Katakomben, in der Buchmalerei oder auf Silbergeschirr überliefert. Während das Bankett auf dem Mosaik nach der Architektur im Hintergrund offenbar in einem Innenraum angesiedelt ist, finden die Mahlzeiten an den Stibadia häufig im Freien statt. Ein Beispiel ist die Darstellung auf dem Mittelmedaillon eines Silbertellers aus dem so genannten Seuso-Schatz (Abb. 8), der in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts bekannt geworden ist. Unter den Feiernden befindet sich auch eine Frau, was bei der Darstellung von Stibadien übrigens nicht ungewöhnlich ist. Die Teilnehmer stützen sich mit den Ellbogen auf dem dicken Polster vorn auf, der Mann in der Mitte hält eine Trinkschale, sein Nachbar trinkt aus einem Becher. Auf dem Tisch liegt eine Platte mit einem Fisch, davor tragen Diener in kurzen Tuniken Speisen und Getränke. Am Boden steht eine Dose oder ein Eimer mit Henkel, davor befindet sich eine Kanne und eine Schale mit Griff, letztere Utensilien werden zum Waschen der Hände verwendet. Um den Körper des linken Dieners herum sind einige kleinere, unregelmäßige Objekte erkennbar. Ähnliche Gegenstände finden sich auch bei den Feiernden und im Bereich der Bäume, es sind auf dem Teller aus dem Seuso-Schatz also offenbar heruntergefallene Früchte dargestellt und kein klassisch ‚ungefegter Boden‘.

Behälter wie der eiförmige Wasserwärmer mit Löwenfüßen rechts am Rand des Schweizer Mosaiks sind sowohl als Originale beispielsweise aus Pompeij (Abb. 9) wie auch von antiken Bildwerken bekannt, und der auffällige, etwas dunkler gekleidete Schläfer in der Mitte des Mosaikbildes könnte durchaus an Darstellungen des schlummernden Johannes beim letzten Abendmahl Christi angelehnt sein.

Beim Mosaik in der Schweiz fällt gleich die eigentümlich schiefe Stellung der Tische ins Auge. Unstimmigkeiten zeigen sich dann auch in den Details. So hat das Sofa, wie an der linken Seite erkennbar, eine für die eigentliche Funktion hinderliche, steile Rückenlehne und einen beinahe würfelförmigen Fuß; solche Füße finden sich auch beidseitig des rechten Tisches. Diese Einzelheiten der Gestaltung erinnern deutlich an moderne Möbel. Statt sich auf dem für ein Stibadium üblichen halbkreisförmigen Polster vorne aufzustützen, sind die Gäste mit Kissen ausgestattet. Das rote Kissen links hat eine gekrauste Bordüre, das weiße auf der rechten Seite gar eine Art Häkelsaum, wie es in einem bürgerlichen Wohnzimmer des 19. oder 20. Jahrhunderts zu finden gewesen wäre. In so einem neuzeitlichen Ambiente würden auch die bunt verzierten Tischdecken mit ihrer durchbrochenen Kante nicht fremd wirken. Die Liste der wenig stimmigen Elemente ließe sich erweitern, dafür nur drei Beispiele. Die drei stehenden Personen hinter dem Sofa tragen eine Frisur mit eigenartig abstehendem Pferdeschwanz – sollte es sich um missverstandene Frauenfrisuren handeln? Der Gast am linken Bildrand trinkt wenig zivilisiert aus der Flasche statt aus einem Becher oder einer Trinkschale. Die Abbildung der gezahnten grünen Salatblätter auf dem Boden schließlich setzt die bis ins 20. Jahrhundert vertretene Interpretation der zu Beginn schon beschriebenen Fischhäute ins Bild, nicht die antiken Vorlagen mit den glatt abgeschnittenen Seiten. So verrät sich die Nachahmung durch den Fortschritt der Forschung.

 

 

 

Im Text erwähnte antike Quellen und ausgewählte Übersetzungen

Horaz, Satiren. Hrsg. u. übers. von O. Schönberger (Darmstadt 2015).

Petronius Satiricon. Hrsg. u. übers. von C. Hoffmann (München 1948).

Plinius Buch 36. Die Steine. Hrsg. u. übers. von R. König (Darmstadt 1992).

 

Literaturauswahl

K. Dunbabin, Mosaics of the Greek and Roman World (Cambridge 1999).

M. Hornik, Asarota und Xenia. Die antike Ikonographie von Speiseresten und Nahrungsmitteln im Mosaik. Dissertation Marburg 2015, bes. S. 89-112 (Mosaik in Boudry als Fälschung hier S. 106 f.). https://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2015/0480/pdf/dmh.pdf (abgerufen 3.3.2021).

Zusammenfassend zu Stibadia E. Paneli, Zur Motivgeschichte des s-Mahles auf Sarkophagen, Katakomben und Byzantinischen Handschriften. Deltion tēs Christianikēs Archaiologikēs Hetaireias 36/4, 2015, 245-262.

https://ejournals.epublishing.ekt.gr/index.php/deltion/article/viewFile/5235/9303 (abgerufen 3.3.2021).

Zum Mosaik auf der Homepage des Weinmuseums Château de Boudry http://www.chateaudeboudry.ch/?a=38,58,105 (abgerufen 3.3.2021).

 

Gemeinfreie Abbildungen aus Wikipedia, Bildnachweise

Abb. 1 Bildautor Yann – Abb. 2 Autor Jastrow – Abb. 3 Autor Alf van Beem – Abb. 4, 5 Autor Sailko – Abb. 6, 7 Autor Anonym/Ellywa – Abb. 8 Autor Elekes Andor – Abb. 9 Autor Finoskov

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