Das Hermannsdenkmal von Oerlinghausen: Ein Aprilscherz mit Folgen

Als die Oerlinghauser am Morgen des ersten Aprils 1935 auf ihre Bergstadt schauten, bot sich ihnen ein seltsamer Anblick: Auf dem Wahrzeichen des Städtchens, dem über den Häusern thronenden Windmühlenstumpf, stand eine große Kopie des Hermannsdenkmals. Die Installation mit den ausgesägten Umrissen des Hermanns war an ein Holzgerüst montiert. Man hatte sie so bemalt, dass sie aus der Ferne dem echten Hermannsdenkmal täuschend ähnelte. Heute, in Zeiten des Großdrucks, wäre so etwas keine besondere Leistung. Damals war solch ein Gag jedoch technisch aufwändig, selten und deshalb ein richtiger Hingucker. Da der Windmühlenstumpf aussieht wie der Sockel des Hermannsdenkmals, war die Illusion perfekt. 
Von der Aktion wurden Postkarten gedruckt, die Firma Foto-Freitag konnte über 600 Exemplare von ihnen verkaufen. Das ist für Kleinstadtverhältnisse sehr viel. Doch auf was spielte der Aprilscherz an? Er hatte keinen geringeren Anlass als die Planungen zum Germanengehöft, das dreizehn Monate später eröffnet werden sollte. Um dies durchzusetzen, musste der Ausgräber und Initiator des Projektes, Hermann Diekmann, auf Vorträgen wohl etwas dick auftragen. Es entstand der Eindruck, dass man den Hermann von Detmold nach Oerlinghausen holen wolle. Damit war der Sündenfall der Hermannsentortung gegeben. Und in Lippe stellt das einen kapitalen Sündenfall dar.
Urheber des Scherzes war einer der großen Industriellen Oerlinghausens, der Möbelfabrikant Fritz Heißenberg. Diekmann konnte das nicht auf sich sitzen lassen. Und erst recht nicht seine Förderer, der Gauleiter Meier, der Bürgermeister Möller, das Reichserziehungsministerium und der Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte Alfred Rosenbergs. Also strengte man einen parteiinternen Vorgang an. Fritz Heißenberg wurde zur Klärung gebeten und schrieb am 21. Mai 1935 an den Landrat:
„... Am 1. April wurde auf dem Windmühlenstumpf hier in Oerlinghausen, nachdem man eine Genehmigung durch die Gutsverwaltung Niederbarkhausen erwirkt hatte, scherzhafterweise eine künstlerisch ausgeführte Hermanns-Figur aufgestellt. Diese Figur ist in meinem Betriebe angefertigt. Den Entwurf habe ich persönlich gemacht. (…)
Veranlassung zu diesem Scherz haben die vielen hier in Oerlinghausen gehaltenen Vorträge und Reden des Herrn Lehrer Diekmann gegeben. Herr Diekmann nennt sich Heimatforscher und hat die Umgebung Oerlinghausens nach vorgeschichtlichen Funden abgesucht. An und für sich wäre gegen diese gewiß mühevolle Tätigkeit nichts einzuwenden. Aber die Art und Weise, wie Herr Diekmann seine Funde der Oerlinghauser Bevölkerung bekannt gab, und wie er selbst seine eigenen Arbeiten und vor allem seine eigene Person verherrlicht hat, war so, daß nicht nur die älteren Bewohner Oerlinghausens lächelnd darüber den Kopf schüttelten, sondern sogar die Schulkinder sich über die Art lustig machten. 
Die Vorträge, die Herr Diekmann vergangenen Winter gehalten hat und die Herausstreichung seiner eigenen Arbeit, vor allem aber die Worte, daß das Hermannsdenkmal nicht nach Detmold, sondern nach Oerlinghausen gehöre, weil er, Herr Diekmann, das erste germanische Grab gefunden habe, gab Veranlassung zu diesem Scherz. Die 900-Jahrfeier der Stadt Oerlinghausen steht bevor. Herr Diekmann ist mit der Ausarbeitung dieser Feier betraut. Um unser schönes Oerlinghausen nicht weiterhin der Lächerlichkeit ausgesetzt zu sehen, hat man durch diesen harmlosen Scherz Herrn Diekmann beizeiten einen Wink geben wollen, sich nicht wieder solchen Entgleisungen hinzugeben, wie er das Anfang des Jahres getan hat
."
Der Tonfall, in dem über Diekmann gesprochen wird, zeigt an, wer in Oerlinghausen das Sagen zu haben glaubte. Bürgermeister Möller ließ jedenfalls die Hermannsattrappe entfernen, er bezeichnete die Aktion als groben Unfug. Einige Zeit beobachtete die Ortspolizei Heißenberg als so genannten Hetzer. Die Aktion ist dennoch nicht als antifaschistischer Widerstand zu verstehen, schließlich war Heißenberg ein angesehenes Mitglied der NS-Gemeinde. Er gab selbst an, am 9. Februar 1933 die damals noch illegale Verbrennung der schwarzrotgoldenen Fahne vor dem Rathaus initiiert und finanziert zu haben. Danach wurde die Hakenkreuzfahne gehisst, obwohl formell noch die alte, parlamentarisch-demokratische Verfassung bestand. Ganz auf Linie war die Unternehmerfamilie Heißenberg jedoch nie, beispielsweise haben sich erfrischende Ausfälle von ihr gegen die SA aus Zeiten der Machtergreifung erhalten. Überdies waren die Heißenbergs auch noch in der NS-Zeit mit dem jüdischen Kaufmann Paradies befreundet und halfen dieser im Exil weiter. Dies ist durch zeitgenössische Quellen belegt.
Die Idee, den Windmühlenstumpf für spektakuläre politische Nacht und Nebelaktionen zu nutzen, war übrigens nicht ganz frisch: 1932 hatte die örtliche KPD dort oben die Sowjetfahne gehisst. In Oerlinghausen wird man diese Aktion sicherlich nicht vergessen haben. Nur drei Jahre waren seither verstrichen; drei Jahre allerdings, die es in sich hatten.

Quelle: Landesarchiv NRW, Abt. OWL, Detmold, L 113 Nr. 213 S. 162.

Wer sich allgemein zur Bergstadt in der NS-Zeit informieren möchte, dem sei immer noch empfohlen:
Uwe Gartenschlaeger, Jürgen Hartmann, Hans-Christoph Seidel, Eine rote Festung wird erobert. Nationalsozialismus in Oerlinghausen (Oerlinghausen 1986).

Herzlichen Dank an Jürgen Hartmann, Nordhorn, für Informationen zu Fritz Heißenberg.

Karl Banghard

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