Das Geheimnis des Binsenflechtens

Die Geheimnisse des Binsenflechtens

Die Verwendung von Binsen zur Herstellung von Matten und Gefäßen ist jahrtausendealt. Beim Binsenflechten sind ein paar Besonderheiten im Vergleich zum üblichen Korbflechten mit Weidenruten zu beachten. Hier geben Dir Anja und Bettina nützliche Tipps zum Was? Womit? Woher?

Was sind Binsen?

Die Binse, in Östereich auch Simse genannt, hat einen glatten, unbehaarten Stiel und keine Knoten, wie etwa Gräser. Verschiedene Arten aus der Familie Juncus, z. B. Flatterbinse (Juncus effusus), die Knäuelbinse (Juncus conglomeratus) oder die Blaugrüne Binse (Juncus inflexus) können zum Flechten verwendet werden. Die genannten Arten stehen nicht auf der Roten Liste – wohl aber andere Arten der Familie. Die Flatter- oder Flechtbinse wächst in moorigem, nassen Boden, in Teichen, auf Feuchtwiesen oder an Flussufern. Sie wird bis zu 1,80 m hoch und kommt beinahe weltweit vor.

Bezugsquelle

Selbst sammeln ist zwar möglich, das können wir aber nicht empfehlen. Schon gar nicht in größerem Maßstab. Ernte und Aufbereitung bzw. Trocknung sind ziemlich arbeitsintensiv und zeitraubend. Die Binsen müssen sechs Wochen ausgebreitet an einem überdachten Platz trocknen. Außerdem: Aus Naturschutzgebieten darf man keine Pflanzen, auch keine Pflanzenteile entnehmen. Bestell lieber bei einem professionellen Anbieter, dann bist Du sicher, dass Du Ware von guter Qualität bekommst. Binsen müssen an einem trockenen Platz aufbewahrt werden. Wir stellen unsere gebündelt in eine Ecke des Wohnzimmers oder in einen trockenen Kellerraum. Geh vorsichtig damit um: Trockene Binsen sind empfindlich und brechen leicht.

Den einzigen uns bekannten Versender in Deutschland findet man unter den ersten Suchergebnissen, wenn man die Schlagworte „Weiden Binsen Versand“ in die Suchmaschine eingibt. In den Nachbarländern mag es aber auch noch weitere geben, die von uns bislang nicht entdeckt wurden.

Experimenten mit langen Pflanzenteilen aus dem eigenen Garten als Binsenersatz steht natürlich nichts entgegen. Geeignet sind die meisten langen Stiele (z. B. Lavendel), Gräser, Simsen und Seggen, Blätter von Iris, Narzissen und Rohrkolben. Auch Birkenreisig funktioniert. Nicht jede Pflanze ist aber für jede Technik geeignet. Auch hier gelten die Hinweise zum Umgang mit Binsen.

Produkte

Fußmatten, Sichtschutzmatten, Teppiche, Körbe, Taschen, Schalen, Schachteln und Dosen, Schuhe, Bienenkörbe, Gärkörbe für Brotteig, Flaschenumflechtungen, Spielzeug und Deko, Stuhlsitze, Hüte, Wetterschutzkleidung, aber auch Wände, ganze Häuser oder Boote.

Werkzeug, Hilfsmittel

Einfache Arbeiten kann man nahezu ohne Werkzeuge zustandebringen. Die meisten nützlichen Hilfsmittel hat man sowieso im Haushalt: Laken oder großes Stück Stoff, Lappen oder altes Geschirrtuch, Zange, Schere, Bindfaden, Wäscheklammer oder Haarklemme.

Besonders gute Dienste leistet ein Binseneinfädler (Abbildung 1) oder auch eine Fußballahle. Das ist ein Griff mit Stiel oder einem flachen Blatt dran, der am Ende eine lange Öse aufweist. Diesen Stiel schiebt man durch das Gewebe, fädelt das Binsenende ein und zieht ihn zurück. Schwupp, schon ist das Binsenende vernäht. Zu Anfang haben wir sehr große Stopfnadeln verwendet, das Durchziehen ist aber kraftraubend. Aus stabilem Draht kann man sich auch eine Schlinge biegen und die zusammengelegten Enden als Griff umwickeln.

Für die Spiraltechnik (Beispiel: Bienenkorb, Gärkorb für Brot) benutzt man ein kurzes Stück Rohr oder Knochen (Abbildung 2) als Maß, damit der Wulst immer gleich dick bleibt. Tipp: Bei der nächsten Schweinshaxe oder Lammkeule einfach den Knochen auskochen, putzen, zurechtsägen und innen glattfeilen. Das Stück darf innen gern etwas trichterförmig sein, das erleichtert später das Nachlegen von Binsen. Die äußere Form ist völlig wurscht, nur sehr dick ist später hinderlich.

Ein Basteltisch samt Stuhl ist oft nützlich. Für manche Techniken benötigt man eigentlich überhaupt keinen Tisch, wir haben aber zumindest gern einen in der Nähe. Werkzeug und Teetasse kann man gut dort deponieren. Bei größeren Werkstücken, die dauernd gedreht werden müssen, verwenden wir manchmal ein Korbflechterbrett. Es hat zwar auch vier Beine wie ein Tisch, aber die zwei Beine einer Seite sind kürzer als die anderen. Die höhere Seite reicht dem sitzenden Flechter über die Beine, damit er das Brett ganz an den Körper ziehen kann. Das Werkstück wird mit einem angespitzten alten Schraubendreher oder einem Pfriem mittig zwischen den Bodenbinsen hindurch auf das Brett geheftet. So rutscht es nicht runter und kann im Flechtprozess einfach gedreht werden. Zum Schluss zieht man den Pfriem einfach wieder heraus. Alternativ kann man auch einen Nagel als Dauereinrichtung in das Brett einschlagen und beim Auflegen und Abheben die Arbeit vorsichtig über den Nagelkopf fummeln.

Für das Flechten auf einer Form braucht man logischerweise die Form. Das kann ein Quader aus Holz sein oder ein Blumentopf oder ein anderer Gegenstand von gefälliger Form. Für große Sachen, Einkaufstaschen etwa, kann man sich eine Form aus Holzbrettern bauen. Das Model darf nur nicht nach oben schmaler werden, dann bekommt man es hinterher nicht mehr aus dem Geflecht.

Besonderheiten

Binsen werden durch das Einweichen geschmeidig. Sie lassen sich dann problemlos biegen und verdrillen, sogar verknoten. Das bedeutet aber auch, dass ihnen die Eigenspannung fehlt, die Weidenruten eigen ist. Eine gebogene Weide will wieder zurück in die Ausgangsposition. Ihr Ende lässt sich so sehr schön festklemmen. Binsen halten oft nicht und müssen vernäht werden. Das gilt besonders, wenn später bei der Benutzung entstehende Zugkräfte die Binsenenden herausziehen würden. Das Vernähen durch fertiges Gewebe hindurch kann dieses zusammenziehen oder krümmen. Ist kein Vernähen nötig, ist man mit dem Abschneiden viel schneller dran. Dafür bekommt man bald ein Gefühl.

Binsen können mehrfach eingeweicht und getrocknet werden. Das kann man mit Weidenruten nicht machen, die müssen beim ersten Einweichen verbraucht werden. Allerdings muss man sich auch bei Binsen vor Schimmelbildung in Acht nehmen und darf diese daher nicht länger als zwei Tage feucht lassen. Die dunkelgrauen Stockflecken bekommt man nicht wieder weg. Verarbeite nur einwandfreie Binsen – es wäre zu schade um Deine Arbeitszeit.

Vorbereitung der Binsen zum Flechten

Das Bündel ausgewählter Binsen von oben bis unten in ein Tuch einschlagen und in der Badewanne (ohne Stöpsel) mit der Brause oder auf der Wiese mit der Gießkanne befeuchten. Mehrmals wiederholen, über Nacht einweichen lassen. Wichtig: Nicht in Wasser getaucht einweichen wie Weidenruten. Dadurch quellen die Binsen zu stark. Beim Trocknen des Werkstückes schrumpfen sie dann auch stark und hinterlassen ein klappriges Sieb statt einen stabilen Korb.

Unmittelbar vor dem Verwenden wird jede einzelne Binse durch Zupfen von der schwachen Spitze befreit. Die würde spätestens im Flechtprozess sowieso abreißen. Von der Spitze bis zum wurzelnahen dicken Ende zieht man die Binse durch einen Lappen. Das putzt die Binse und drückt sie platt. Dabei tritt auch überschüssiges Wasser aus. Den spezifischen Geruch der eingeweichten Binsen und die glatte, geschmeidige Oberfläche mögen wir sehr.

Arbeitstechniken

In der Kürze eines Blogbeitrages lassen sich unmöglich alle Arbeitstechniken im Detail erklären. Erfahrungen im Korbflechten mit Weidenruten sind daher von Vorteil – oder schau in die Bücher unserer kleinen Literaturliste. Wir zeigen Dir hier, wie vielfältig die Binsen verwendet werden können. Wofür ist welche Technik geeignet? Einige Produktbeispiele geben Dir eine Vorstellung davon.

- Zwirnen – für Seile und Schnüre (Abbildung 3): Eine gute Möglichkeit, sich mit Binsen vertraut zu machen. Nett als Geschenkband oder Deko zu anderen Naturmaterialien. Zwei Gruppen von je zwei bis drei Binsen werden um sich selbst gedreht (gedrillt) und entgegen dieser Drehrichtung um die andere Gruppe gelegt. Festhalten, nächstes Stückchen drillen und andersrum drumlegen. Wenn man in einer Rückrunde noch einen dritten Strang zwischen die ersten beiden legt, entsteht ein gleichmäßigerer Eindruck. Damit wird außerdem die Kordel zum Seil.

- Freiformflechten - baut auf dem Zwirnen auf, für netzartige Körbchen und Behälter

- Korbflechten – für Körbchen und ähnliche Behälter (Abbildung 4). In großen Dimensionen für Möbel, Flechtzäune, -wände und andere Elemente der Gartengestaltung. Spinnenboden, Kreuzboden, Fitzen, Stäben, Fäden vernähen – viele Techniken des Korbflechtens mit Weiden sind auf Binsen übertragbar, ggf. mit leichten Abwandlungen. Gerade Binsen werden häufig über einer Form geflochten, etwa bei Körbchen mit Deckeln (Abbildung 5), Taschen oder Hüten.

- Spiraltechnik – für Brotgärkörbe und ähnliche (Abbildung 6). Je nach Größe des Rohrmaßes auch für große Körbe wie etwa Bienenkörbe oder Vorratsbehälter. Ist eigentlich kein Flechten, sondern ein Aneinandernähen von Reihen aus Binsen- oder Strohwülsten. Achtung: kein Einweichen nötig, es genügt auch ein leichtes Ansprühen mit Wasser direkt vor dem Verarbeiten. Das oben beschriebene Stück Rohr oder Knochen wird als Maß benötigt, damit der Wulst überall gleich dick wird. Als Schnur dient hier: Historisch: einzelne Binsen, Weiden- oder Brombeerschienen. Modern: alles, was die Feuchtigkeit beim Verarbeiten aushält.

- Zöpfe – für Untersetzer, Matten, Teppiche (Drei- bis Siebenstrang mit Binsenbündeln) oder Taschen (Siebenstrang/Fünfstrang mit einzelnen Binsen) (Abbildung 7) Hat jeder bestimmt schon mal gesehen. Für Untersetzer werden die Dreierzöpfe hochkant in eine Spirale gelegt und möglichst unsichtbar aneinandergenäht. Mittels Brettern mit Nägeln, um die man die Zöpfe legt, erzeugt man vielfältige Fußmattenvarianten – diese Endverarbeitung ist für das Mittelalter aber nicht belegt.

- Strohpuppen – vor allem für dekorative Elemente und Accessoires. Vielfältige Formen von kinderleicht bis sehr komplex. Gemeint sind nicht nur Puppen im Sinne einer menschlichen Figur oder eines Tieres, sondern verschiedenste Formen, auch Gegenstände. Das Wort „Puppe“ ist hier eher zu verstehen als „Idol“ oder „Abbild“. Eine Spielart sind die bekannten Strohsterne als Weihnachtsschmuck. Innerhalb der Sparte der Strohpuppen finden wiederum sehr verschiedene Techniken Verwendung.

 

Behandlung der Werkstücke

Die Werkstücke müssen ca. 3 Tage lang richtig durchtrocknen. Aber Vorsicht: Direkte Sonne bleicht die Binsen aus. Einlassen mit Leinölfirnis schützt vor Anschmutzung, ändert aber auch die Farbe leicht (Abbildung 8: Vorn mit Leinölfirnis, das Körbchen hinten ohne). Für die Produkte gilt ansonsten das Gleiche wie für die Binsen selbst: Trocken aufbewahren. Kurz nass werden ist kein Problem: Man kann sie mal unter fließendem Wasser vorsichtig abbürsten oder mit einem Schwämmchen reinigen – aber dann müssen sie wieder gut trocknen.

Du siehst also, Binsenflechten ist kein Hexenwerk. Es macht Spaß und ist nicht besonders anstrengend. Eine breite Produktpalette kann mit sehr verschiedenen Techniken hergestellt werden. Sogar selbstgesammeltes Material kann als kostenloser Binsenersatz verwendet werden. Fang einfach an zu experimentieren und verlang nicht zu viel von Dir.

Im Netz gibt es viele kleine Filmchen dazu. Such auch nach den englischen Begriffen (z. B. Rushwork, rush weaving, etc.) und lass Dich inspirieren. Auch wenn Du die Sprache in einzelnen Videos nicht verstehst, sagen Bilder manchmal mehr als tausend Worte.

Schau auch mal beim AÖZA vorbei (http://www.museum-albersdorf.de/bast/) und in die Ausstellung von Anne Reichert „Bast Binsen Brennesseln“.

Bücher: Meist werden verschiedene Rohstoffe zusammen in einem Buch abgehandelt, also Binsen und Stroh oder Binsen und Weiden. Unser Tipp: Nimm die Scheuklappen ab und guck Dir alles an. Manche Flechttechniken funktionieren auch mit anderem Material als dort angegeben. Und selbst wenn es am Ende nicht hinhaut, hast Du doch wieder was über die Eigenschaften der Binsen dazugelernt.

Die Bücher der folgenden Liste haben wir zum Thema Binsen auftreiben können. Die meisten davon sind nur noch antiquarisch zu bekommen und auch nicht jederzeit. Immer mal wieder nachschauen und auf den Preis achten.

 

  • Borglund, Erland: „Stroh und Binsen schmückend und praktisch“, 1963, Verlag Frech oHG, Stuttgart. Schwedische Originalausgabe erschienen bei ICA-Förlaget, Västeras

  • Brotherton, Germaine: „Rush and Leafcraft“, 1977, B T Batsford Ltd., London. ISBN 0-7134-0383-7

  • Brown, Margery: „The Complete Book of Rush and Basketry Techniques“, 1983, B T Batsford Ltd, London. ISBN 0-7134-3435 X

  • Burns, Hilary: „Cane, rush and willow:– weaving with natural materials“, 1998, Quintet Publishing Ltd., London. ISBN 1-55209-260-7

  • Carlier, Henk: „Basteln mit Binsen“, 1962, Kemper Verlag Heidelberg. Niederländische Originalausgabe „Biezenwerk“, Cantecleer, de Bilt/Utrecht

  • Comstock, Ruth. B.: „Making chair seats from cane, rush and other natural materials, Dover Publications, Inc., New York. ISBN 0-486-25693-6

  • Deutch, Yvonne: „Flechten mit Peddigrohr, Binsen und Stroh“, 1985, Manfred Pawlak Verlagsgesellschaft mbH, Herrsching. Englische Originalausgabe „Cane, Rush and Straw“ erschienen 1977 bei Marshall Cavendish. ISBN 3-88199-256-1

  • Jensen, Carl: „Bogen om siv“, Forlaget Spidsrod, 2002. ISBN 87-987627-2-9

  • Fontales, Carlos: „Cesteria de los pueblos de Galicia“, 2003, Ir Indo Edicions, Vigo. ISBN 84-76800-510-1

  • Enthält DVD mit anschaulichen Filmchen, die verschiedene Techniken zeigen

  • Mellgren, Jette: „Flechten mit Naturmaterial – Faszinierende Körbe, Schalen und mehr“, deutsche Ausgabe 2011 frechverlag GmbH, hier: 3. Auflage 2013, Stuttgart. Dänische Originalausgabe unter dem Titel „Flet med naturens materialer“, 2009 Forlaget Klematis A/S. ISBN 987-3-7724-5533-9

  • Viele verschiedene Techniken, tolle Inspiration, eher für Interessierte mit etwas Erfahrung geeignet.

  • Schneiders Fröhliche Freizeit: „Flechtwerk aus Rohr und Binsen“, Titel der englischen Originalausgabe „Basketry in easy steps“, 1977, Studio Vista, erschienen bei Cassell & Collier Macmillan Publishers Ltd., London. Deutsche Ausgabe: 1979, Franz Schneider Verlag München Wien. ISBN 3-305-01115-0

  • Wright, Dorothy: „The complete book of baskets and basketry“, 1983, David & Charles, Devon. ISBN 0-7153-9856-3

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