Business und Buße. Neue Funde und neue Denkansätze zum UNESCO Weltkulturerbe Kloster Maulbronn
Für Max Weber waren sie geistige Wegbereiter des Kapitalismus, für den britischen Historiker James Madden "business monks": Die frühen Zisterzienser brachten ein neues Verständnis der Zeit und der Arbeit auf. Aber auch ganz konkret haben sie durch ihr großes Interesse an Metallurgie und Wasserkraft die mittelalterliche Ökonomie neu definiert. Ob die Wirtschaft eines Zisterzienserklosters nun eine Pionierleistung war oder ob sie auf alten Strukturen aufbaute kann nur geklärt werden, wenn man ihre karolinger- und merowingerzeitlichen Vorgängersiedlungen erforscht.
Gerade für das prominenteste Zisterzienserkloster Deutschlands, das UNESCO-Weltkulturerbe Maulbronn, war bislang nichts zur frühen Metallurgie und nur wenig zur frühmittelalterlichen Vorbesiedlung bekannt. Für das Verständnis der Kulturlandschaft in der Zeit vor Ankunft der Zisterzienser fehlte vor allem die Lokalisierung der wichtigsten Vorgängersiedlung, Mulinhusen. Über Generationen hinweg wurde diese Wüstung vergeblich gesucht. Versprach doch der Standort von Mulinhusen nähere Aufschlüsse zur Siedlungslandschaft in der Zeit unmittelbar vor der Ansiedlung der Weißen Mönche. Zum einen wird der Ort im Lorscher Codex ungewöhnlich häufig genannt, neun Einträge finden sich allein für das 9. Jahrhundert. Zum anderen spricht der Codex bereits 801 von einer Kirche, die dem Heiligen Kreuz geweiht ist – ein im frühen Mittelalter seltenes und prestigeträchtiges Patrozinium.
Es war deshalb ein großer Erkenntnisschritt, als vor kurzem Lesefunde auf einen Siedlungsplatz südlich des Klosters hinwiesen, der aus Perspektive der Flurnamensforschung, der historischen Überlieferung und aus vergleichenden Überlegungen zum frühmittelalterlichen Siedlungsraster der Region mit Mulinhusen identifizierbar ist.
Einige Fragmente von Knickwandkeramik zeigen eine Nutzung des Geländes bereits in der Merowingerzeit an. Spärlich ist auch der Fundniederschlag rollrädchenverzierter "Älterer Gelbtoniger Drehscheibenware". Zahlreiche Lesefunde liegen dagegen – analog zu den häufigen Erwähnungen von Mulinhusen im 9. und 10. Jahrhundert – von der "Älteren Gelbtonigen Drehscheibenware" vom Typ Runder Berg vor. In die Karolingerzeit datiert auch das Fragment einer großen, quaderförmigen Millefioriperle (Abb. 2). Die Leitkeramik des 11. und 12. Jahrhunderts, der Typs Jagstfeld der "Älteren Gelbtonigen Drehscheibenware" und die "Ältere Grautonige Drehscheibenware" vom Typ Stetten, ist zwar noch gut vertreten, jedoch nicht mehr so präsent wie die karolingerzeitliche Keramik. In diese Phase zeitnah zur Ankunft der Zisterzienser gehört auch das Fragment eines Wellenrandhufeisens. Die bisherigen Lesefunde machen den Eindruck einer im Frühmittelalter prosperierenden Siedlung, die in den ersten Jahrhunderten unter Klosterherrschaft nicht völlig wüst fiel.
Besonders zahlreich sind die Schlacken, die einen Großteil des Fundmaterials ausmachen. Eine größere, konvexe Herdschlacke mit Holzkohleabdrücken auf der Oberseite wurde dem Bergbaumuseum Bochum zur Autopsie übergeben. Dort wurde sie als Ausheizschlacke angesprochen. Beim Ausheizen werden verunreinigte Luppen durch starkes Erhitzen in einem einfachen, aus Lehm geformten Herd gereinigt. Damit trennte man Schlacke und Verunreinigungen vom Metall. In einem anschließenden Verarbeitungsschritt folgte das Ausschmieden etwa zu Barren auf dem Schmiedeherd. Es handelt sich bei der untersuchten Schlacke sehr wahrscheinlich um ein Abfallprodukt aus den Weiterverarbeitungsprozessen. Im Gegensatz zu den üblichen amorphen Schlacken der primären Metallurgie aus den Öfen sind solche Funde wertvoll, da sie Rückschlüsse auf die nachgeschalteten Verarbeitungsprozesse erlauben. Das Besondere an den Beobachtungen ist, dass sich an einigen Schlacken Hinweise zu mühlengetriebenen Blasebälgen abzeichnen.
Bereits aus der Endphase des Klosters Maulbronn stammt einer der interessantesten Lesefunde, eine 4,0 cm hohe Bleistatuette (Abb. 1). Sie stellt einen Narren dar, der sowohl stilistisch als auch über die Typologie des Narrenkostüms in die Zeit um 1500 datiert werden kann. Nach den Untersuchungen von Herbert Westphal, dem damaligen Leiter der Restaurationswerkstätten des Museums in der Kaiserpfalz Paderborn, wurde das Figürchen in einer recht aufwändigen, mindestens dreischaligen Gusstechnik hergestellt. Die Gussnaht und diverse Gussfehler sind nicht überarbeitet, auch finden sich Spuren sekundärer Beschädigungen, vor allem auf der rechten Hälfte der Statuette. Vieles deutet darauf hin, dass es sich um eine Figur aus dem so genannten Kurierspiel handelt, einer mittelalterlichen Version des Schachs, die auf einem verbreiterten Brett von 12 x 8 Feldern ausgetragen wurde. Kurierschach war um 1500 vor allem in den Niederlanden und in den Rheinlanden beliebt. Trifft die Ansprache zu, handelt es sich um die älteste erhaltene Figur des so genannten Schlaichs. Der Schlaich galt als Rat der Königin und durfte nur ein Feld vertikal oder horizontal ziehen.
Die gemessen an der Intensität der Oberflächenaufsammlungen außerordentlich hohe Quantität und Qualität des Fundmaterials veranlasste die Abteilung für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie des Historischen Seminars der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster in Abstimmung mit dem Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg zu einer geomagnetischen Prospektion des Geländes. Auf der prospektierten Fläche zeichneten sich Gruben, Rennfeueröfen und vielleicht sogar eine Siedlungsumgrenzung ab (Abb. 3).
Kloster Maulbronn scheint nicht allein deshalb von Bedeutung gewesen zu sein, weil die Gebete das Seelenheil des dort bestatteten Kraichgauadels garantierten. Auch nicht nur deshalb, weil mit Ankunft der weißen Mönche das Siedlungsgefüge grundlegend umstrukturiert wurde. Neben der Agrarökonomie bildete darüber hinaus die Mühlentechnologie und die Metallurgie ein zentrales Moment ihrer Standortwahl am heute so idyllisch scheinenden Oberlauf der Salzach.
Dank
Die Grundstücksbesitzerin Tilli Rehklau gab gerne und unbürokratisch die Prospektionserlaubnis. Dr. Folke Damminger leitete die Genehmigung des Landesamtes für Denkmalpflege Baden-Württemberg für die Untersuchungen ein. Und schließlich wäre Mulinhusen ohne das ehrenamtliche Engagement von Martin Kößler noch heute die große siedlungsgeschichtliche Unbekannte des Kleinraumes. Ihnen allen ganz herzlichen Dank!
Literatur:
J. Haßpacher, Ein Dorf an der Grenze. Chronik von Ölbronn (Pforzheim 1982) 37-108. (Bislang die umfassendste Studie zur Lokalisierung Mulinhusens).
J. E. Madden, Business Monks, Banker Monks, Bankrupt Monks: The English Cistercians in the Thirteenth Century. Catholic Historical Review 49. 3, 1963, 341-364.
P. Rückert, Die Bedeutung von Maulbronn für die Siedlungsgenese zwischen Stromberg und Schwarzwald im Mittelalter. In: Landesdenkmalamt Baden-Württemberg (Hrsg.), Maulbronn. Zur 850-jährigen Geschichte des Zisterzienserklosters (Stuttgart 1999). 15-30.
M. Weber Wirtschaftsgeschichte. Abriss einer universalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (München und Leipzig 1924) 311.
M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft Grundriß der verstehenden Soziologie. Teil 3: Typen der Herrschaft (Tübingen 1922) 708-710.
Abb. 1: Ölbronn-Dürrn: Bleistatuette aus der Zeit um 1500. Es handelt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine Turnierschachfigur, den so genannten Schlaich.
Abb. 2: Ölbronn-Dürrn: Karolingerzeitliche Millefioriperle.
Prof. Dr. Eva Stauch
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Historisches Seminar
Abteilung für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie
Robert Koch Str. 29
48149 Münster
Karl Banghard M. A.
Archäologisches Freilichtmuseum
am Barkhauser Berg 2-6
33813 Oerlinghausen
Kommentare
Keine Kommentare