Auf die Äcker die Steinzeit ruft!

Wer findet, hat Recht.
(Raubgräberweisheit)

Es ist November, viele Äcker sind frisch gepflügt. Und der lippische Landregen spült die Pflugfurchen frei. Das ist die ideale Zeit, um nach Steingeräten zu trüffeln. Da das Glückspotential dieser Tätigkeit noch nie so richtig beschrieben wurde, sei hiermit ein kurzer Lobgesang auf die Oberflächenprospektion angestimmt.
Wie das Trüffeln funktioniert? Man sucht sich einfach einen regnerischen Tag und einen erfolgversprechenden Platz, etwa an einer Bachschlinge oder an einer Quelle. Der Acker sollte möglichst frisch gepflügt sein. Bitte nicht auf einem bereits eingesäten Feld herumstapfen, die Landwirte finden so etwas zu Recht nicht gut. Der glasartige Feuerstein sticht beim Suchen besser ins Auge als so mancher Pilz beim Pilzsammeln. Die Erfahrung kommt mit dem ersten Erfolgserlebnis, da sich unser Hirn die dabei ausgelöste Ausschüttung von Glückshormonen merkt. Danach geht es wie beim Jäten: Ist einmal eine Pflanze als zu jätende Pflanze im Kopf gespeichert, erkennt man sie sofort unter hunderten anderen Gewächsen. Alle, die Giersch im Garten haben, werden diesen selektiven Blick nachvollziehen können.
Ein Beispiel von einem völlig normalen Prospektionstrip ohne spektakuläre Funde: Diesen Herbst ging ich wieder einmal über eine Fundstelle in Helpup. Entdeckt habe ich sie vor 15 Jahren, meine Pfeilspitzenfunde von dem Platz sind im Lippischen Landesmuseum ausgestellt. Sie datieren in das Spätneolithikum, wohl an den Übergang vom dritten zum vierten Jahrtausend vor Christus. Aufgesammelt wurden einige wenige Klingen (Abb. 1), die entweder tatsächlich als Klingen, oder als Grundformen für andere Steingeräte dienten. Nett war, dass beim Säubern der aufgelesenen Funde noch ein so genannter Kratzer (Abb. 2) ans Licht kam. Unter Kratzern versteht man Steingeräte mit einer stumpf zugearbeiteten Schmalseite. Ist die Längsseite abgestumpft, spricht man von Schabern. Diese Definition ist alles andere als unmissverständlich, aber so ist es nun eben mit der Archäologensprache. Kratzer dienten meist der Bearbeitung von Holz oder Bein. Auf dem Foto ist erkennbar, wie man die Arbeitskante mit vielen Schlägen stumpf zugerichtet hat. Mit einem weiteren Steingerät schließlich (Abb. 3), wurde vor 5000 Jahren gebohrt, vielleicht auch gekratzt. Eigentlich war das eine magere Ausbeute, lippischer Steinzeit-Mainstream eben.
Trotz alledem können solche Funde nach einem mitunter entnervenden Arbeitstag richtig gut zur Entspannung beitragen. Gerade in Coronazeiten sei allen das Trüffeln deshalb wärmstens empfohlen. Selbst dann, wenn überhaupt nichts dabei herauskommt. Denn beim Suchen nach neuen Fundstellen verbinden sich Intuition und Rationalität – und das ist gut für unser Gehirn. Die erlebnistaktische Formel für die Oberflächenprospektion lautet meiner Ansicht nach:

Fund = Achtsamkeit + Selbsthinterfragung + Geduld

Wer es poetischer oder Zen-mäßiger braucht, kann es auch ausformuliert haben: Ein Fund ist ein spontaner Impuls, der aus unablässigem Schauen erwächst und der den Augenblick und seine Ewigkeit festhält. Das klingt doch irgendwie besser als Rasenmähen nach Feierabend. Falls der Sinn von „Selbsthinterfragung“ in der Formel unklar ist: Jede Fundstelle ist ein neues Wunderhorn. Vorgefertigte Meinungen führen dabei gerne zu großen Überraschungen. Ein neuer Fund kann ein fest gefügtes Bild komplett zum Einsturz bringen. Insofern ist man gezwungen, sein Bild von der Vorgeschichte immer wieder neu zu formulieren. Wie eingangs gesagt, wer findet, hat Recht.

Der Zugang mit der Metallsonde zum Fund ist ein anderer. Sondengänger passen in die Zeit des Quotenfernsehens und der sozialen Medien: Sie vertrauen auf ein Medium und nicht auf die eigenen Sinne. Es geht ihnen um die schnelle Befriedigung des Trüffeltriebes. Um archäologische Quickies sozusagen. Aber ein lang anhaltendes Erlebnis ist bekanntlich intensiver, diese Erfahrung kennt der Mensch in der Regel ab der Geschlechtsreife. Überdies lassen sich Steingeräte im Gegensatz zu römischen Münzen nur schwer in Geld messen. Das wertet das sinnesechte Trüffeln noch einmal gegenüber dem Sondentrüffeln auf. Es geht hier schließlich um Weltgeschichte – und nicht um Fabergé-Eier.

Aus diesem Grund auch noch einmal der branchenübliche Hinweis: Eventuelle Funde gehören allen. Falls man etwas Verdächtiges findet, sollte man es im Lippischen Landesmuseum oder bei uns zur Autopsie vorbeibringen. Auch das eigenmächtige Graben nach Funden ist nach Denkmalschutzgesetz strafbewehrt. Denn bei der Prospektion geht es nicht ums Haben, sondern ums Bewusstsein. Letzteres ist durch die Steinzeit durchaus erweiterbar.
 

Kommentare

Sehr geehrter Herr Banghard,

Ihr Artikel trifft nicht nur den Nagel auf den Kopf, sondern umschreibt mit passenden Worten genau das Erlebnis, das sich schlecht umschreiben lässt, und nur der kennt, der es "erlebt" hat. Seit mehr als 40 Jahren bin ich in der Bodendenkmalpflege tätig, war einige Zeit aus beruflichen Gründen weniger aktiv, doch jetzt im Rentenalter hats mich wieder gepackt.

Wenn man auch oft nichts findet, so ist die konzentrierte Suche doch immer ein Wegtauchen aus dem Jetzt und durch das viele (auch erfolglose) Bücken eine sportliche Betätigung an frischer Luft.

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