Allerheiligenblog

Ein Grab mit morbiden Rätseln aus Paderborn

 

Philipp Wilhelm von Sickingen (1700-1766) hat ein eigenwilliges, kaum beachtetes Grabmal im Paderborner Dom. Er war eigentlich der Stammhalter der Hauptlinie des damals recht einflussreichen Geschlechts. Ihm stand eine glänzende Karriere in Aussicht, denn seine Familie war bei seiner Geburt vor dem großen Sprung zu einem der führenden Adelshäuser im Reich. Doch es kam ganz anders: Sein Vater verstarb überraschend im prächtigen neuen Sickingen-Palais in Heidelberg und irgendwie verschob sich die Erbfolge zu Gunsten seines jüngeren Bruders Carl. Dieser Carl verzockte auf abenteuerliche Weise sämtliche finanziellen und moralischen Kredite bei Kaiser, Fürsten und Städten. Es kam so weit, dass Carl von seinen eigenen Söhnen inhaftiert werden musste, um den endgültigen Bankrott zu verhindern.

Nach seiner Ausbootung verschlug es Philipp Wilhelm extrem weit in den Norden, er wurde Domherr in Paderborn. Man hat den Eindruck, dass er in möglichst großer Entfernung von seiner Familie entfernt leben wollte oder musste. Philipp Wilhelm war in Paderborn Geheimer Rat des Fürstbischofs und Kammerpräsident, also so etwas wie der Finanzminister des Bistums. Das war aber nicht alles: Während der größten Spanne seiner Amtszeit diente er unter dem Fürstbischof Clemens August von Bayern, der als Superbischof auf einer atemberaubend hohen Zahl episkopaler Stühle saß: Köln, Münster, Osnabrück, Hildesheim und anderer kirchlicher Würden. Überdies war Clemens August noch Hochmeister des Deutschen Ordens und Erzkanzler für Italien, eine bis dahin im Heiligen Römischen Reich einzigartige Ämterhäufung. Clemens August wird deshalb kaum ins Tagesgeschäft des Paderborner Bistums eingegriffen haben. Unser Philipp Wilhelm von Sickingen dürfte entsprechend im hohen Dom wie ein echter Fürstbischof regiert haben.

 

Sein Grabmal wurde sehr prominent im Kreuzgang des Paderborner Domes platziert und nachweislich nie verschoben. Es hat als einzige Skulptur im weiteren Umfeld seine Farbigkeit erhalten. Christliche Symbolik fehlt nahezu komplett, dafür ist es voller Anspielungen auf die Familiengeschichte. Bekrönt wird das Epitaph durch eine kreisförmig gekrümmte Schlange, die in einen Baum beißt. Solche so genannten Ouroboroi finden sich als Ewigkeitssymbole häufiger auf Grabsteinen, ganz selten im Rokoko, häufiger dann etwas später im 19. Jahrhundert. Aber dort beißen sich die Schlangen sinnigerweise immer in den eigenen Schwanz, es geht ja um die Darstellung der Unendlichkeit. Der ungewöhnliche Biss in einen Baum kann auch anders gelesen werden: In der Mitte des 18. Jahrhunderts war der Ouroboros vor allem als alchemistisches Zeichen bekannt, er stand für den ewigen, in sich geschlossenen Kreislauf der Materie. Kosten für die Alchemie waren es auch, mit denen der Bruder die Familiengüter der Sickingen zu Sickingen ruinierte. Der alchemistische Bezug zu in sich geschlossenen Systemen taucht häufiger in den Texten aus seinem Nachlass auf. Gut möglich deshalb, dass die Schlange hier auch in den Stammbaum der Sickingen beißt. Das Gerippe mit Sanduhr ist der Tod, das dürfte allen einleuchten. Etwas unbekannter dürfte der geflügelte Mann mit Sense und Halbglatze links daneben sein: Es ist ein typischer Chronos. Der Zeit-Gott fasst beiläufig den Schwan - also das Wappentier der Sickingen - am Hals (Abb. 2).

 

Er scheint es nahezu zu würgen. Das ist eine weitere Andeutung zum drohenden Untergang des Geschlechts. 

Wie es sich für einen Finanzprofi gehört, gab es auch noch etwas zu Rechnen auf seinem Grabmal. Die hervorgehobenen Buchstaben sind als lateinische Zahlzeichen lesbar. Das so genannte Chronogramm verschlüsselt sein Todesdatum. Es ergibt sich folgende Addition:

I=1      x 6 =6
X=10    x 1= 10
L=50    x 3= 150
C=100 x 1= 100
D=500 x 1= 500
M=1000 x 1= 1000
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1766


Vielleicht ist in dem Text noch eine zweite Botschaft versteckt, denn die letzten beiden hervorgehobenen Buchstaben IX sind die seit der Spätantike gängige Abkürzung für „Jesus Christus“. Und die erste Hervorhebung ergibt ILI, das lateinische Wort für „Trojaner“. Der genealogisch verstandene Bezug zur Antike begegnet auch bei dem einzigen erhaltenen Portrait von Philipp Wilhelm (Abb. 3).                   

 

Das Gemälde ist in Privatbesitz, Michael Benz hat es in seinem Buch "Sickingen-Bildnisse" 1985 veröffentlicht. Es ist um 1710 in Regensburg entstandenen und zeigt links unten den kleinen Philipp Wilhelm, rechts seinen Bruder Carl. Darüber und dazwischen sind das Elternpaar und die Schwestern verewigt. Die Söhne und der Vater tragen antikisierende, wahrscheinlich trojanische Rüstungen. Das ist ein deutlicher Hinweis zur Kernaussage des Gemäldes. Es ist kein einfaches Familienbild, sondern ein Manifest der Genealogie, denn fast alle Adelshäuser führten damals ihre Ursprünge auf die Antike zurück – bevorzugt auf Troja. Da auch im Barock Bilder immer von links nach rechts gelesen werden, war klar, dass Philipp Wilhelm um 1710 noch der Stammhalter war.

Philipp Wilhelms Grabmal wurde übrigens vom Bistum und nicht von ihm privat finanziert. Das scheint ihn aber nicht gehindert zu haben, es mit sehr individuellen, familienpolitischen Inhalten zu würzen.

 

Literatur
Michael Benz, Sickingen-Bildnisse. Oberrheinische Quellen und Forschungen 1 (München 1985) 64-75.

 

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