Abenteuerliche Externsteine-Deutungen in völkischer Tradition – Das Buch „Der Teufel am Externstein in Sage, Mythe und Wissenschaft. Ein Forschungsabenteuer“ von Ralf Koneckis-Bienas

„Sehen Sie jenen Kiosk dort“, sagte er. „Ich lade Sie ein, nachher hinzugehen und ihn zu vermessen. Sie werden sehen, daß die Breite des Bodens 149 Zentimeter beträgt, also ein Hundertmilliardstel der Entfernung von der Erde zur Sonne. Die Höhe der Rückwand geteilt durch die Breite des Fensters ergibt 176 : 56 = 3,14, die Zahl π. Die vordere Höhe beträgt 19 Dezimeter, soviel wie die Zahl der Jahre des griechischen Mondzyklus. Die Summe der Höhe der beiden vorderen und der beiden hinteren Kanten macht 190 x 2 + 176 x 2 = 732, das Datum der Schlacht von Poitiers. Die Dicke des Bodens beträgt 3,10 Zentimeter und die Breite des Fensterrahmens 8,8 Zentimeter. Ersetzt man die Zahlen vor dem Komma durch die entsprechenden Buchstaben des Alphabets, so erhält man C10H8, die Formel des Naphthalins.“ „Phantastisch“, sagte ich, „haben Sie das gemessen?“ „Nein“, sagte Agliè. „Das hat ein gewisser Jean-Pierre Adam an einem anderen Kiosk getan. Ich nehme an, daß alle Kioske der staatlichen Lotterie mehr oder minder dieselben Maße haben.“

Umberto Eco, Das Foucaultsche Pendel, München 2012 (21. Auflage), S. 374f.

An diese Szene aus Umberto Ecos Roman mögen manche Leser denken, die das Buch „Der Teufel am Externstein“ zur Hand nehmen. Mit seinen abenteuerlichen Mythen- und Zahlendeutungen reiht es sich seit seinem Erscheinen 2015 in die inzwischen unüberschaubare Literatur der fantastischen Externsteine-Deutungen ein. Die Felsgruppe im Teutoburger Wald wird gelegentlich als germanisches Heiligtum, Sonnenobservatorium und Sternkarte, sogar als Zentrum des Abendlandes und Mysterienstätte der Menschheit interpretiert, und nicht nur mit „Kelten“ und „Germanen“ bevölkert, sondern auch mit Großsteinskulpturen, Göttern der isländischen Edda oder Gralsrittern. Die fantastischen Deutungsangebote sind so zahlreich und zum Teil absurd, dass eine eingehende Besprechung kaum gelingen kann, geschweige denn lohnenswert erscheint. Während viele dieser, oft im Selbstverlag erscheinenden, Publikationen aber keine nennenswerte Resonanz in der Öffentlichkeit erfahren, ist es Ralf Koneckis-Bienas gelungen, mit Hilfe des regional etablierten Detmolder Verlages topp+möller ein seriös wirkendes Buch herauszubringen, das vermutlich nicht zuletzt deshalb auch schon einige Lesungen und wohlwollende Besprechungen verzeichnen konnte. Daher sei im Folgenden kurz auf einige problematische Aspekte hingewiesen.



Ein fragwürdiges „Forschungsabenteuer“

Der Autor nennt seine Arbeit ein Heimatbuch mit Anekdoten, Anregungen für Interessierte und zugleich eine Einführung in die sogenannte Archäoastronomie (die astronomische Deutung von Bodendenkmälern und prähistorischen Artefakten) mit entsprechenden Quellenbelegen für die Fachwelt. Die darin präsentierten Thesen lassen sich schnell zusammenfassen: Wie manch andere Autoren vor ihm hält Koneckis-Bienas die Externsteine für einen „uralten“ Ort astronomischer Beobachtung und religiöser Verehrung. Seit der Steinzeit sollen sie als Kalenderanlage und zu verschiedenen kultischen Funktionen gedient haben, sogar als Sitz eines angeblich „germanischen Isiskultes“. Für seine im Vorfeld bereits feststehenden Ergebnisse sucht er Bestätigungen in Ortsnamen – so sei beispielsweise Oesterholz ein Ort für Ostara-Feiern – oder auch in Sagen, Mythen und Märchen, die größtenteils gar nicht mit den Externsteinen in Verbindung stehen, in denen aber astronomisches Wissen verborgen sein soll. So kann Koneckis-Bienas zu jeder vermeintlichen astronomischen Auffälligkeit an den Felsen eine seiner Meinung nach erklärende Überlieferung herbeizaubern. Damit fällt er weit hinter heutige methodische Grundlagen der Archäoastronomie zurück.

Dass Wissenschaftler seine und ähnliche abenteuerliche Interpretationen nicht aufgreifen, erklärt Koneckis-Bienas damit, dass die wissenschaftliche Forschung an den Externsteinen seit der Zeit des Nationalsozialismus befangen sei – eine verbreitete Annahme innerhalb der völkischen und esoterischen Externsteine-Forschung, die bisweilen sogar verschwörungstheoretische Züge annimmt. Koneckis-Bienas kritisiert wissenschaftliche Grundlagenarbeiten und möchte mit seinem Buch „den Weg für eine unbefangene Forschung“ freimachen. Sich selbst wappnet er bei Bedarf gegen fachliche Kritik, indem er gleich im Vorwort klarstellt, dass er seine Deutungen lediglich als „Angebote“ verstanden wissen möchte, „die zu weiteren Gesprächen anregen sollen“.

 

Unzulängliche Kritik und schwache Argumentationen

Der Dreh- und Angelpunkt aller Spekulationen um frühgeschichtliche Nutzungen der Externsteine ist die Bewertung der Ergebnisse der archäologischen Untersuchungen durch den Münsteraner Archäologen Julius Andree in den Jahren 1934/35. Die Bremer Landesarchäologin Uta Halle hat in ihrer Habilitationsschrift minutiös Ablauf und Hintergründe der Grabungen herausgearbeitet und Andrees Interpretationen von Funden und Befunden die heutige Sichtweise gegenübergestellt. Dabei konnte sie zeigen, dass Andrees Arbeit schon damaligen methodischen Standards nicht entsprach und seine Interpretationen von dem klaren Willen geprägt waren, eine vorgeschichtliche Kultfunktion der Externsteine zu beweisen – und das auch mit willkürlichen Interpretationen. Koneckis-Bienas wischt diese eingehende Kritik mit pauschalen Formulierungen beiseite, wonach die Archäologie auch in der NS-Zeit meist sauber gearbeitet habe und der Ausgräber der einzige geeignete Interpret seiner Befunde sei. Eine nachträgliche Kritik sei also quasi unstatthaft.

Koneckis-Bienas' eigene Versuche, Halle Fehler nachzuweisen, scheitern schon im Ansatz. So wirft er ihr vor, ältere Funde nicht mit einzubeziehen. In diesem Sinne zieht er einen Kupferstich von 1750 heran, der eine Darstellung der Externsteine mit Zeichnungen von Urnen und anderen frühgeschichtlichen Gräberfunden verbindet. Dass der Kupferstich Teil einer Abhandlung war, in der die Herkunft der Fundstücke aus genau bezeichneten Grabhügeln im Raum Hameln unmissverständlich erläutert wird, entgeht Koneckis-Bienas, zu dessen Stärken gründliche Quellen- und Literaturarbeit ganz sicher nicht zählt, wie man auf fast jeder Seite seines Buchs feststellen kann. Halles Fazit, dass bei den Untersuchungen von 1932 und 1934/35 keine Funde zutage kamen, die unzweifelhaft frühgeschichtlich sind, versucht er mit einem winzigen Stück Bronzeblech auszuhebeln, das sehr wahrscheinlich als Pfriem für Lederarbeiten diente. Solche Bronzepfrieme seien bereits auf völkerwanderungszeitlichen Fundplätzen geborgen worden, wie Halle selbst schreibt. Wenn Koneckis-Bienas bei Archäologen nachgefragt hätte, hätte ihm jeder Fachmann erläutert, dass dieser Kleinfund zu jenen Werkzeugen zählt, die sich über Jahrhunderte nicht verändert haben und die daher keine Datierung des Fundzusammenhangs erlauben. Es ist vielmehr genau umgekehrt: Erst die Datierung signifikanter Funde (vor allem Keramik) aus dem gleichen Zusammenhang ermöglicht eine Einordnung solcher Objekte.

 

Rehabilitierung eines völkischen Ideologen?

Wer in Lippe hat noch nicht von den Externsteinen als einem „germanischen“ Heiligtum und Observatorium gehört? Popularisiert wurde dieser moderne Mythos in den 1920er-Jahren von dem einflussreichen völkischen Laienforscher Wilhelm Teudt. Für ihn waren die Externsteine ein Denkmal für die hochstehende Kultur der sogenannten Germanen, in deren Nachfolge die Deutschen stünden. Für diese Vorstellung konnte er auch Heinrich Himmler und die SS begeistern. Es wurden die oben genannten Grabungen durchgeführt, das Gelände zum „Heiligtum der Ahnen“ erklärt und der Zutritt für jüdische Besucher untersagt.

Ohne auf die biografischen Hintergründe Teudts, seine führende Rolle im antisemitischen Deutschbund oder seine Karriere als völkischer Agitator und Gründer einer paramilitärischen Organisation einzugehen, porträtiert Koneckis-Bienas den in seinen Augen harmlosen „Heimatforscher“ als Opfer nationalsozialistischer Vereinnahmung – ein Bild, dem Teudt als überzeugter Nationalsozialist selbst wahrscheinlich heftig widersprochen hätte. Mit Nachdruck setzt sich dagegen der Autor für Teudts völkische Thesen ein, lobt den zweifelhaften Dienst, den dieser dem lokalen Tourismus getan habe und fordert, man solle im Übrigen „über die Toten nichts, wenn nicht Gutes“ sprechen. Er bekennt sich damit offen zur Geschichtsklitterei, denn Historiker konnten überzeugend nachweisen, dass Teudts Schriften untrennbar mit seiner völkischen und nationalsozialistischen Gesinnung verbunden sind.

 

Einführung einer antijüdischen Legende in die Externsteine-Debatte

Als neues Narrativ möchte Koneckis-Bienas eine mittelalterliche, antijüdische Legende aus dem Rheinland in die Externsteine-Debatte einführen: Am 18. und 19. April würde die Sonne knapp unterhalb des Rundlochs der Höhenkammer erscheinen – am Namenstag des Werner von Oberwesel. Werner wurde als junger Tagelöhner im April 1287 in Bacharach am Rhein ermordet. Schnell verbreitete sich das Gerücht, er sei das Opfer eines Ritualmordes durch Juden aus der Nachbarstadt Oberweselgeworden. In der Folge kam es zu blutigen Pogromen in den umliegenden jüdischen Gemeinden. Neben den Vorwürfen des Wuchers, der Hostienschändung und der Brunnenvergiftung dienten Anschuldigungen wie diese nicht erst seit dem Mittelalter als Vorwand für die Verfolgung der jüdischen Minderheit. Obwohl Werner niemals offiziell heiliggesprochen wurde, entwickelte sich unmittelbar nach seinem Tod ein wirtschaftlich einträglicher Märtyrer- und Heiligenkult in Bacharach und Oberwesel.

 

Die eindeutig antijüdische Stoßrichtung dieser Legende verschweigt Koneckis-Bienas und möchte sie stattdessen „astral“ deuten. Er interpretiert Elemente der Erzählung über das vermeintliche Mordgeschehen als Sinnbild für den Lauf von Sonne und Mond. Die Absage an die Heiligenverehrung – heute erinnert eine Gedenktafel an der Ruine der Werner-Kapelle in Bacharach an die Opfer der Judenverfolgung – bezeichnet er als Resultat eines „verengten Geschichtsbildes“. Die auf den ersten Blick harmlos und unverfänglich wirkende Legenden-, Märchen- und Mythendeutung erscheint vor diesem Hintergrund nicht nur höchst zweifelhaft, sondern leistet längst überwunden geglaubten antijüdischen Stereotypen aufs neue Vorschub. Für die Externsteine-Interpretationen bedeutet dies eine besorgniserregende Entwicklung.

 

Zweifelhafte Hintergründe

Vor dem Hintergrund, dass Koneckis-Bienas erst Anfang Juni 2017 zwei Lesungen an den Externsteinen abhielt, Vorträge in Volkshochschulen anbietet und Artikel in renommierten Zeitschriften zu archäoastronomischen Themen vorweisen kann, sei noch kurz auf den zweifelhaften Kontext verwiesen, in dem er die im Buch präsentierten Deutungen entwickelt hat. So tritt er beispielsweise seit über 30 Jahren regelmäßig als Referent im „Forschungskreis Externsteine“ auf, wo er auf der Jahrestagung 2016 sein Buch vorstellte. Jenseits der Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnismöglichkeit generiert und popularisiert der Verein, der nach eigener Darstellung „alternative Externsteine-Forschung“ betreibt, ein breites Deutungsangebot, das sich intuitiven, esoterischen und zum Teil in völkischer Tradition stehenden Zugriffen bedient.

Koneckis-Bienas' Vortragstätigkeit schließt aber auch extrem rechte Kreise mit ein – so sprach er 2009 auf einem Treffen des neonazistischen Freundeskreises Ulrich von Hutten. Im Buch wird seine Nähe zur extremen Rechten indirekt deutlich, wenn er von gemeinsamen Exkursionen mit einem Lehrer berichtet, der 2015 wegen seines Engagements für völkische und rechte Vereine aus dem Schuldienst einer Mindener Waldorfschule entlassen wurde. Als der Fall durch die regionale Berichterstattung ging, solidarisierte sich Koneckis-Bienas in Leserbriefen mit dem Pädagogen und bezeichnete die Aufdeckung von dessen Aktivitäten als Rufmord.

 

Resümee

Buchelemente wie ein Personen- und Schlagwortregister (allerdings mit teils skurrilen Einträgen) oder ein Anhang mit Dokumentenfaksimiles und -transkriptionen, wie sie auch in wissenschaftlichen Publikationen zu finden sind, sowie die professionelle Aufmachung des Buches und das Erscheinen in einem etablierten Regionalverlag suggerieren Seriosität und täuschen darüber hinweg, dass Koneckis-Bienas' Arbeit ein weiteres Beispiel für die fantastischen und völkischen Auswüchse der Externsteine-Deutungen ist. Mit Forschung hat das Buch nichts zu tun, doch trägt es zur Verbreitung des modernen Mythos von den Externsteinen als einem „germanischen Heiligtum“ und der damit verbundenen Vorstellung von einer hochstehenden Kultur imaginierter Vorfahren bei. Neu und überaus bedenklich ist allerdings, dass der Autor versucht, eine antijüdische Legende in die Externsteine-Debatte einzuführen. Das Buch von Ralf Koneckis-Bienas ist weder „unbefangen“ noch „Forschung“. Es versucht vielmehr, völkische Externsteine-Deutungen wieder salonfähig zu machen.

 

Dr. Andreas Ruppert, Historiker; Roland Linde, Historiker und Publizist; Stefanie Haupt, Historikerin

 

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